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Beschluss des Landesparteitages vom 7. Oktober 2008

07.10.2008
A 28 - Kinderarmut bekämpfen - eine zentrale Querschnittsaufgabe aller staatlichen Ebenen und Ressorts
Die soziale Spaltung in unserer Gesellschaft nimmt trotz der guten konjunkturellen Lage immer weiter zu. Besonders betroffen von dieser Entwicklung sind Kinder und Jugendliche. Bildungs- und Aufstiegschancen von jungen Menschen sind immer noch mit dem Einkommen der Eltern verknüpft, diese Tendenz hat sich in den letzten Jahren sogar noch verstärkt. Die Situation vieler Kinder im Lande Bremen ist beschämend. Der Armutsbericht 2007 der Arbeitnehmerkammer Bremen hat gezeigt, dass Bremen und Bremerhaven beim Anteil der armen Kinder Spitzenpositionen unter den deutschen Großstädten einnehmen. Der Anteil von Kindern in der Stadt Bremen, die in Bedarfsgemeinschaften leben, welche auf Sozialgeld angewiesen sind, beträgt 30,2 %. In Bremerhaven leben von fünf Kindern sogar zwei in Bedarfsgemeinschaften. Familien sind in besonderem Maße von Armut betroffen. Dies zeigt sich daran, dass der Anteil von Familien an den SGB II Bedarfsgemeinschaften besonders hoch ist. Der Anteil von Privathaushalten mit Kindern betrug Ende 2006 in der Stadt Bremen 17, 5 %. Der Anteil von Hauhalten mit Kindern an den SGB II Bedarfsgemeinschaften ist jedoch mit 36, 4 % mehr als doppelt so hoch. Besonders dramatisch ist die Situation bei allein erziehenden Eltern, in über 95 % der Fälle handelt es sich hierbei um allein erziehende Frauen. Kinder zu haben bedeutet insbesondere für Frauen ein erhöhtes Armutsrisiko. Ein Zustand, der unter keinen Umständen zu akzeptieren ist. Besonders erschreckende Zusammenhänge zeigt der Armutsbericht auch beim Zusammenhang von Wohnort und Bildungsabschluss. Stadtteile mit einem niedrigen Durchschnittseinkommen, weisen durchgehend auch einen vergleichbar niedrigen Anteil an höheren Bildungsabschlüssen auf. Kinderarmut bedeutet, dass ein zunehmender Anteil von Kindern nur eingeschränkt am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann. Ihre beruflichen und gesellschaftlichen Aufstiegschancen werden ihnen bereits im Kindesalter verbaut. Die Bekämpfung der Kinderarmut ist für uns ein elementarer Bestandteil von sozialer Gerechtigkeit. Kinder sind das Fundament und die Zukunft unserer Gesellschaft. Auch wenn die prekären Situationen, in denen viele Kinder und Jugendliche leben, in letzter Zeit vermehrt thematisiert wurden, für uns ist klar: der Zeit der großen Worte muss endlich die Zeit der großen Taten folgen. Der Verweis auf knappe Kassen darf nicht die Chancen und die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen verbauen. Sachzwangargumente sind hier fehl am Platz und im Übrigen aufgrund der „Folgekosten“, die die Vernachlässigung der Bekämpfung der Kinderarmut mit sich bringt, auch kurzsichtig und falsch. Kinderarmut ist kausal mit der Einkommenssituation der Eltern verbunden. Ausgangspunkt der Bekämpfung der Kinderarmut muss deswegen eine aktive Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik sein, nur so kann die Armutsspirale nachhaltig durchbrochen werden.  Hierzu gehört eine aktive und gerechte Verteilungspolitik. Maßnahmen hierfür sind unter anderem die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohnes, eine gerechte Verteilung der vorhandenen Arbeit durch eine moderne Arbeitszeitpolitik, ein Recht auf Ausbildung sowie eine neue Lohnpolitik, die die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Mittelpunkt stellt. Weitere Maßnahmen für eine gerechte Verteilungspolitik sind die Abschaffung des Ehegattensplittings, die Erhöhung des Spitzensteuersatz und der Erbschaftssteuer sowie eine gerechte Besteuerung von Kapitaleinkommen im Vergleich zu anderen Einkünften. Umverteilung zugunsten von Familien bedeutet für uns jedoch nicht nur die Zahlung monetärer Leistungen wie dem Kindergeld sondern beinhaltet vor allem den Ausbau der sozialen Infrastruktur. Nur so kann die volle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu auch für benachteiligte Kinder gewährleistet werden. Wir unterstützen daher die Forderung, neben der Erhöhung des Kindergeldes auch einen Teil der Mittel für den Ausbau solcher Maßnahmen zu verwenden. Eine Debatte um das Verhältnis von monetären Leistungen und sozialer Infrastruktur war längst überfällig. Das von der Union in die Diskussion gebrachte Betreuungsgeld als Ersatz für alle Eltern, die ihre Kinder nicht in Kinderbetreuungseinrichtungen bringen lehnen wir ab. Zu einem kindgerechten Ausbau der sozialen Infrastruktur gehört für uns insbesondere ein Bildungssystem, welches integrativ wirkt, Chancengleichheit sichert und alle Kinder erreicht. Die Politikansätze des Bundes, der Länder und der Kommunen müssen hier besser ineinander greifen und nebeneinander wirken. Hierzu gehört eine von allen staatlichen Ebenen betriebene Politik der Armutsvermeidung, die Familien, in bedrohten Lebenslagen besonders unterstützt und speziell auf die Bedürfnisse der Kinder ausgerichtet ist. Konkret heißt das: Verbesserung der Kinderbetreuung Wir brauchen dringend einen Ausbau der Infrastruktur im Bereich der Kinderbetreuung. Damit einher muss auch eine Ausweitung des Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuung gehen, damit alle Kinder an einer ganztägigen Kinderbetreuung teilhaben können. Die Kostenfreiheit der Betreuung muss nicht mehr langfristiges, sondern mittelfristiges Ziel sein. Kann die allgemeine Kostenfreiheit nicht sofort umgesetzt werden, sind zumindest einkommensschwache Eltern spürbar zu entlasten. Außerdem ist zu überprüfen, ob zunächst das erste Kindergartenjahr kostenfrei sein sollte, damit hier neue Anreize für einen längeren Kindergartenbesuch aller Kinder gesetzt werden. Wir brauchen  darüber hinaus eine massive Ausweitung der frühkindlichen Bildung und von Fördermaßnahmen für benachteiligte Kinder, wie z. B. eine gezielte Sprachförderung. Das Ziel der frühkindlichen Bildung muss unter anderem sein, allen Kindern beim Schuleintritt gleiche Chancen zu gewährleisten. Die Veränderung der Kindertageseinrichtungen von Betreuungseinrichtungen zu Bildungseinrichtungen erfordert eine angemessene Ausstattung mit entsprechend qualifiziertem Personal. Die Erzieherinnen- und Erzieherausbildung muss dahingehend überarbeitet werden, dass sie diesen neuen Anforderungen entspricht. Die Gesundheitsvorsorge beginnt bereits vor dem Kindergarten. Wichtige Bausteine sind hierbei unter anderem der Ausbau des Bremer Familienhebammenprogramms und die aufsuchende Beratung zum Kindeswohl in benachteiligten Wohnquartieren (Projekt Tipp Tapp - Gesund ins Leben). Im Kindergarten beinhaltet die Gesundheitsvorsorge ein qualitativ hochwertiges Mittagessen sowie die Möglichkeit des Frühstücks. Vorsorgeuntersuchungen müssen im Kindergarten stattfinden können. Bereits die Kindergärten müssen den Kindern ein Gefühl für gesunde Ernährung geben. Freizeit- und Sportaktivitäten müssen fester Bestandteil des Kindergartentags sein. Die Zusammenarbeit zwischen Kindergärten und Grundschulen muss verbessert werden. Im Kindergarten gewonnene Kenntnisse über den Entwicklungsstand und –potentiale der Kinder dürfen nicht verloren gehen. Auf sie muss in der Grundschule konsequent aufgebaut werden. Hierfür sind die rechtlichen Möglichkeiten zu schaffen. Außerdem muss an im Kindergarten erworbenes Wissen in der Grundschule nahtlos angeknüpft werden, um den Kindern einen möglichst unkomplizierten Übergang zu ermöglichen. Fortschrittliche, integrative Bildungspolitik Die Anlagen, die durch diese vorschulischen Maßnahmen getroffen wurden, müssen in einer fortschrittlichen Bildungspolitik fortgeführt werden. Der Kern dieser Bildungspolitik ist ein integratives Bildungssystem. Innerhalb des Schulsystems muss eine individuelle Förderung gewährleistet sein. Eine Schule für alle beinhaltet auch die Integration behinderter und nicht-behinderter Schülerinnen und Schüler in einer Klasse. Eine Schule, die ein Kind aufgenommen hat, ist bis zum ersten Schulabschluss für dieses Kind verantwortlich. Nur die Eltern können die Schulentscheidung für ihr Kind korrigieren. Zu unserer Bildungspolitik gehören individuelle Förderung und Ermutigung und nicht die Anordnung von Restriktionen. Wir wollen das staatliche Schulsystem so attraktiv machen, dass Privatschulen für Eltern keine Alternative sind und die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die Privatschulen besuchen, sinkt. Unser Schulmodell organisiert sich in Ganztagsschulen. Dazu gehört auch die in der bremischen Landesverfassung garantierte Lehr- und Lernmittelfreiheit. Außerdem muss ein gutes Mittagessen für die Schülerinnen und Schüler gewährleistet sein, an dem alle Kinder teilnehmen können. Für Kinder mit Eltern mit geringem Einkommen wird stufenweise ein kostenloses Mittagessen eingeführt. Soziale Stadt(teil)politik Nicht nur Bildungs- und Betreuungseinrichtungen können einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Kinderarmut beisteuern. Eine aktive, soziale Stadt(teil)politik ist außerdem dringend notwendig. Hierzu gehört ein aktives Quartiersmanagement, welches Hilfemöglichkeiten vor Ort organisiert. Auch für Eltern müssen dort Bildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten geschaffen werden. In Kooperation mit Schulen, Kindergärten, Jugendeinrichtungen und anderen Einrichtungen vor Ort muss es zu einem Austausch kommen. Ein aktives Quartiermanagement muss die interkulturellen Besonderheiten vor Ort berücksichtigen und positiv nutzen. Die Sicherung der öffentlichen Daseinsvorsorge muss ebenfalls im Zentrum der Politik von Staat und Kommunen stehen. Die Privatisierungswellen der letzten Jahre haben gezeigt, dass es Aufgaben gibt, die Privatunternehmen, die lediglich Profitinteressen haben, nicht leisten können. Wohnungsbau, Nahverkehr, Kultur und Sport sowie Bildung und Kinderbetreuung, müssen Aufgaben des Staates sein und von ihm sozial gestaltet werden. Das Programm „Soziale Stadt“ muss weitergedacht werden und alle Bereiche vor Ort zusammen denken. In Bremen müssen die Gelder für das Programm zunächst in gleicher Höhe beibehalten und dann ausgeweitet werden. Hierzu gehört auch eine Absicherung der WiN-Förderung in Bremen sowie ein zielgerichteter Ausbau, auch auf andere Quartiere. Schulen sollen sich zum Stadtteil öffnen und wo es möglich ist auch zu Quartierbildungszentren ausgebaut werden. Dazu bedarf es einer Vernetzung und Kooperation aller Institutionen im Stadtteil, die mit  Kindern und Familien zusammenarbeiten. Die öffentliche Infrastruktur muss erhalten und ausgebaut werden, Quartiere müssen sich an ihrer Familienfreundlichkeit messen lassen. Junge Menschen brauchen Rückzugsmöglichkeiten und Räume vor Ort. Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben Wir brauchen Bildungseinrichtungen, von den Kindertagesstätten bis zu den Universitäten, die jungen Menschen ein möglichst hohes Maß an kultureller und politischer Teilhabe ermöglichen. Kulturelle Bildung und Partizipation bedeutet auch immer einen Schlüssel zur sozialen Teilhabe. Entscheidungsprozesse sollen durch die Betroffenen, auch schon durch die Kinder begleitet werden. Dies stärkt ihre Selbständigkeit und fördert ihre Gestaltungsmöglichkeiten.  Kultureinrichtungen müssen eng mit Kindergärten und Schulen kooperieren, so dass der Zugang zu kulturellen Ereignissen für Kinder und Jugendliche kostengünstig bzw. kostenlos gewährleistet werden kann. Existenzsicherung Neben den verschiedenen Angeboten, muss auch die finanzielle Situation von Kindern kurzfristig verbessert werden. Die besonderen Bedürfnisse der Kinder in Bedarfsgemeinschaften sind zu berücksichtigen, zum Beispiel durch die Anhebung des Sozialgeldes um 20% bzw. durch die Einführung eines den besonderen Bedürfnissen von Kindern entsprechend berechneten Regelsatzes beim ALG II. Existenzsicherung bedeutet dabei nicht nur, dass die Kosten für Essen, Wohnen, Kleidung etc. übernommen werden, sondern muss auch ein soziokulturelles Existenzminimum darstellen. Kinderpolitik als Querschnittsaufgabe Staatliches Handeln muss immer auch die Belange von Kindern und Jugendlichen im Blick haben und ist so zu gestalten, dass diese nicht beeinträchtigt werden. Wir fordern daher, dass ähnlich dem Gender-Mainstreaming Kinder- und Familienpolitik eine Querschnittsaufgabe wird. Der SPD-Landesparteitag bittet die SPD-Bürgerschaftsfraktion darum, im Zusammenwirken mit der SPD-Landesorganisation die Kampagne mit Dialogveranstaltungen über die von Partei, Fraktion und Senat eingeleitete Politik für den sozialen Zusammenhalt der Stadtgesellschaft fortzuführen. Eckpunkte bremischer Politik zu Bekämpfung von Armutsfolgen Bremen muss seine Möglichkeiten zur Bekämpfung von Armutsfolgen und zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts nutzen. D.h. insbesondere:
  • weiterhin über den Bundesrat auf die Bundesgesetzgebung einzuwirken. Die Initiativen zur Einführung eines Mindestlohns und zur Etablierung von speziellen Eckregelsätzen für Kinder in der Grundsicherung waren richtige Schritte,
  • den qualitativen und quantitativen Ausbau der Kinderbetreuung unter dem besonderen Schwerpunkt der Förderung von Kindern aus sozial benachteiligten Verhältnissen zu Betreiben. Nach dem erfolgten ersten Ausbauschritt kommt in Zukunft der Durchsetzung eines Rechtsanspruches auf eine 6-stündige Betreuung, der weiteren personellen Zusammenarbeit von Kita und Grundschule eine besondere Bedeutung zu,
  • sie Förderung von Kindern aus sozial benachteiligten Verhältnissen in der Schule zu verbessern,
  • sie soziale Infrastruktur in den Stadtteilen bedarfsgerecht auszubauen. Dies erfordert u. a. eine Verzahnung der verschiedenen stadtteilbezogenen Investitionsprogramme unter dieser Zielsetzung,
  • die Erstellung des Armuts- und Reichtumsberichtes zu nutzen, um eine ressortübergreifende integrierte Strategie zur Bekämpfung von Armutsfolgen zu entwickeln.