Seitenpfad:

Beschluss des SPD-Landesvorstandes vom 26. September 2014

29.09.2014
SPD favorisiert Anstalt öffentlichen Rechts (AöR)
1. Der Landesvorstand der SPD Bremen bekräftigt seine Überzeugung, dass Aufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge grundsätzlich in öffentlich-rechtlicher Verantwortung und in kommunalen Unternehmensstrukturen erbracht werden sollen. Auf der Basis einer effizienten betrieblichen Organisation eröffnet dies die beste Möglichkeit, kommunale Ziele transparent und flexibel zu verfolgen und Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger zuverlässig, kostengünstig und qualitativ hochwertig zu erbringen. Aus dieser Überzeugung favorisiert die SPD Bremen eine vollständige Rekommunalisierung der Abfallentsorgung und der Straßenreinigung in der Stadtgemeinde Bremen. Auf welche Weise und mit welchen Schritten dies zu erreichen ist, ist beim gegenwärtigen Erkenntnisstand allerdings noch nicht abschließend zu beantworten.

2. Die Abfallentsorgung und die Straßenreinigung sind im Jahr 1998 – nach einer Phase weitreichender Modernisierungen (Einführung codierte Restmülltonne, gebührenfreie Biomülltonne und -kompostierung, Gelber Sack) – an private Auftragnehmer übertragen worden. In der anschließenden Konsolidierungs- und Rationalisierungsphase ist es gelungen, die Abfallgebühren in Bremen über lange Zeit stabil zu halten. Diese Leistung erkennen wir ausdrücklich an.

Die Privatisierung der abfallwirtschaftlichen Dienstleistungen hat jedoch – jenseits der betrieblichen Effizienzgewinne – zu einer Reihe von Fehlentwicklungen geführt. Wir haben heute eine Zersplitterung der Zuständigkeiten bei der Abfallentsorgung und der Straßenreinigung auf eine Vielzahl von Akteuren, unterschiedliche Beschäftigungsverhältnisse und Bezahlungen für gleiche Tätigkeiten, unzureichende kommunale Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten sowie Know-how-Verluste bei der operativen Durchführung von Entsorgungsdienstleistungen und der dazu erforderlichen Managementkompetenz. Damit ist der Stadtgemeinde teilweise auch wichtiges Wissen für eine strategische und konzeptionelle Weiterentwicklung der Abfallwirtschaft verloren gegangen. Dies ist mit Blick auf Entwicklungen im Bereich der Wertstoffkreisläufe, der energetische Nutzung von Abfällen, dem Schutz der Umwelt und der Sauberkeit der Stadt sowie den darin enthaltenen Entwicklungsmöglichkeiten für die regionale Ökonomie dringend zu ändern. Hinzu kommt, dass die Stadt derzeit nicht die beträchtlichen umsatzsteuerlichen Vorteile einer kommunalen Abfallentsorgung und Straßen-reinigung nutzen kann.

3. Es besteht die Gefahr, dass mit einer europaweiten Neuausschreibung der Entsor-gungs- und Reinigungsdienstleistungen und einer dann erfolgenden erneuten Vergabe an private Auftragnehmer, erhebliche Risiken für die Stadtgemeinde Bremen verbunden wären. Im Ergebnis einer solchen Ausschreibung könnte die Situation entstehen, dass rund 300 Beschäftigte, die 1998 aus dem öffentlichen Dienst zu den privaten Dienstleistern übergeleitet wurden, ihr vertragliches Rückkehrrecht ausüben, ohne dass entsprechende Arbeitsplätze im öffentliche Dienst vorhanden wären.
4. Wir favorisieren deshalb die Bildung eines einheitlichen kommunalen Unternehmens für die Abfallentsorgung und die Stadtreinigung im gesamten Stadtgebiet. In diesem Unternehmen sind alle öffentlichen Entsorgungs- und Reinigungsaufgaben und die strategischen, konzeptionellen und kontrollierenden Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Entsorgers zu bündeln. In Verbindung damit sind auch die entsorgungspolitischen Aufgaben des Ressorts für Umwelt, Bau und Verkehr neu zu definieren und die Struktur des jetzigen Umweltbetriebes (UBB) zu überprüfen. Wir erwarten, dass durch die Bündelung der Aufgaben auch mögliche Synergie- und Rationalisierungseffekte freigesetzt werden. Wir wollen zudem, dass in diesem Verbund die Kompetenz zu Vorbereitung und Gestaltung weiterer Rekommunalisierungsschritte (z. B. beim Abwasser in 2028) vorbereitet wird.

Für die gesellschaftsrechtliche Form des Unternehmens favorisieren wir die Gründung einer Anstalt öffentlichen Rechts (AöR). In ihr sehen wir die geeignetste Lösung, um die richtige Balance zwischen politisch-strategischer Steuerung und betrieblich-operativer Effizienz zu finden. Als AöR kann das öffentliche Unternehmen zudem – wie in anderen deutschen Großstädten - auch Gesellschafter von möglichen Gemeinschaftsunternehmen mit privaten Partnern sein.

5. Bei der Favorisierung einer solchen Lösung übersehen wir allerdings nicht, dass es ge-wichtige Probleme und Hindernisse auf dem Weg zu einer vollständigen Kommunali-sierung gibt: Durch die Privatisierung hat die Stadtgemeinde die Managementkompetenz für die betriebliche Organisation und Durchführung der Abfallentsorgung und der Straßenreinigung großenteils verloren. Hinzu kommt, dass die vorhandenen Verträge und Besitzverhältnisse keinen Zugriff auf das Gros der gegenwärtig genutzten Betriebsflächen zulassen, die Möglichkeiten und die Bedingungen des Erwerbs der Betriebsmittel nicht geregelt sind und keine vertraglichen Vereinbarungen über die Personalübernahme bestehen. Ein kompletter Neuaufbau eines öffentlichen Unternehmens mit eigener Betriebsführung und den dafür nötigen Investitionen in Anlagen, Fahrzeuge, Be-triebsmittel und Know-how stellt daher eine Herausforderung dar.

6. Der SPD-Landesvorstand kritisiert, dass diese Probleme und Hindernisse in den bisherigen Gutachten zwar angesprochen, aber nicht in vertiefter Weise behandelt werden. Die aufgeworfenen Fragen bedürfen daher dringend einer eingehenderen Untersuchung und Klärung. Sollten sich die Risiken für die Stadtgemeinde und die Gebührenzahler als zu groß erweisen, wird es nötig sein, in 2018 zunächst nur einen Zwischenschritt auf dem Wege zu einer vollständigen Rekommunalisierung zu gehen.

Für diesen Fall streben wir unterhalb der Ebene einer AöR eine Partnerschaft mit Privatunternehmen an, bei der die Stadtgemeinde den maßgeblichen gesellschaftsrechtlichen Einfluss besitzt, um unsere kommunalen abfallwirtschaftlichen Ziele und unser Verständnis von Guter Arbeit bestmöglich verwirklichen zu können. Eine solche Partnerschaft kann sich auch auf Teilsegmente der Abfallentsorgung und Straßenreinigung beschränken. Sie sollte vertraglich auf zehn Jahre beschränkt werden und vertraglich so ausgestaltet sein, dass klare Regelungen für eine mögliche spätere Übernahme von Unternehmensanteilen, Betriebsmittel, Infrastruktur und Personal getroffen werden.
7. Der Landesvorstand der Bremer SPD erwartet deshalb, dass der Senat beide Alternati-ven weiter prüft: Eine vollständige Rekommunalisierung von Abfallentsorgung und Straßenreinigung in 2018 und eine Beteiligungslösung, in der die Stadtgemeinde den maßgeblichen Einfluss für die Umsetzung ihrer Ziele besitzt. Bis zum Jahresende ist zu klären:

- Wie kann die Stadtgemeinde bis 2018 – durch Rückkauf, vorzeitige Auflö-sung von Pachtverträgen oder eine Neuerschließung – rechtzeitig die not-wendigen Betriebsflächen für eine rekommunalisierte Abfallentsorgung und Straßenreinigung erlangen?

- Wie kann die Stadtgemeinde bis 2018 das notwendige unternehmerische und fachliche Know-how sowie die Betriebsmittel organisieren, die für ein gut funktionierendes kommunales Entsorgungs- und Reinigungsunternehmen nötig sind? Welcher finanzielle Aufwand wäre damit verbunden – auch im Vergleich zu einem Beteiligungsmodell?

- Welche Lösungswege gibt es, damit einem kommunalen Entsorgungs- und Reinigungsunternehmen zum 1. Juli 2018 in verlässlicher Weise das erforderliche Personal zur Verfügung stände? Welche arbeits- und tarifrechtlichen Strukturen wären für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anzustreben, um unsere Kriterien für Gute Arbeit zu erfüllen? Dies auch in Hinblick auf die berechtigten Interessen aller Beschäftigten in den Unternehmen der Abfallwirtschaft.

- Welche Möglichkeiten der Festschreibung tarifvertraglicher Regelungen und Standards für Arbeitsbedingungen besitzt die Stadt demgegenüber bei der Ausschreibung von abfall- und reinigungswirtschaftlichen Dienstleistungen und welche Risiken sind mit einer solchen Ausschreibung verbunden?

- Welche organisatorischen Strukturen können der Stadtgemeinde den Vor-teil umsatzsteuerfreier Leistungen auch bei einem partiellen Beteiligungsmodell ermöglichen? Wie können Risiken durch einen möglichen Wegfall der Umsatzsteuerbefreiung aufgefangen werden?