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Diskussionspapier von Andreas Bovenschulte

11.06.2012
"Soziale Demokratie braucht einen leistungsfähigen Staat – Zukunftsorientierte Finanzpolitik für Bremen und Bremerhaven"
„Zur Gewährleistung der gesellschaftlichen Teilhabe aller brauchen wir einen aktiven Staat und leistungsfähige öffentliche Dienste in Bremen und Bremerhaven. Gerade die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise hat es gezeigt: Der Markt alleine kann nicht garantieren, dass die Menschen mit allem versorgt werden, was für ein menschenwürdiges Leben in einer demokratischen Gesellschaft nötig ist. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen nicht, dass der Staat sich auf die Rolle des „Ausputzers“ für das Versagen des Marktes beschränkt, sondern wir wollen einen aktiven Staat, der Verteilungsgerechtigkeit und Teilhabe, aber auch persönliche Freiheit und Sicherheit gewährleistet.“ (Regierungsprogramm 2011-2015 der Bremer SPD). I. Fortbestand der extremen Haushaltsnotlage trotz erfolgreicher Ausgabenkonsolidierung Die dauerhafte Sicherung der finanziellen Handlungsfähigkeit des Stadtstaates Bremen wird auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten die größte und im Wortsinne „existenzielle“ Herausforderung bremischer Politik bleiben. Denn auch nach zwei Jahrzehnten der Haushaltssanierung befinden sich Land und Stadtgemeinden trotz Ausgabenkonsolidierung weiterhin in einer extremen Haushaltsnotlage. Ursächlich hierfür sind in erster Linie die unzureichende Entwicklung der Einnahmen und die hohen Vorbelastungen des Haushalts durch Ausgaben für Zinsen und Sozialleistungen. 1. Land und Stadtgemeinden haben seit Beginn der Haushaltssanierung im Jahr 1993 erhebliche Erfolge bei der Konsolidierung ihrer Ausgaben erzielt. a) Zwischen 1994 und 2008 blieben die konsumtiven Primärausgaben, also die Personalausgaben und die laufenden Sachausgaben (ohne Zinsausgaben und Investitionsausgaben), im Stadtstaat Bremen nominal praktisch stabil. Inflationsbereinigt gingen sie damit sogar deutlich zurück. Im gleichen Zeitraum stiegen die konsumtiven Primärausgaben der Gesamtheit der Länder und Kommunen nominal um rund 15%. Erst im Zuge der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise kam es auch im Stadtstaat Bremen wieder zu einem Anstieg der konsumtiven Primärausgaben. Erreicht wurde die Deckelung der konsumtiven Primärausgaben vor allem durch Einsparungen im Personalbereich. Das Beschäftigungsvolumen des Landes und der Stadt Bremen wurde seit Beginn der Haushaltssanierung im Kernbereich um rund 27% verringert. Unter Berücksichtigung von Verzerrungen durch Sonderhaushalte, Eigenbetriebe und Stiftungen beträgt der Abbau des Beschäftigungsvolumens immer noch rund 15%. b) Die Investitionsausgaben wurden ab 1994 mittels der vom Bund gewährten Sanierungshilfen (8,5 Mrd. Euro im Zeitraum 1994/2004) zunächst deutlich erhöht, um den bestehenden infrastrukturellen Nachholbedarf zu decken, denn die bremische Investitionsquote(= Anteil der Investitionsausgaben an den öffentlichen Ausgaben insgesamt) lag in den gesamten 80er und 90er Jahren erheblich unter dem Durchschnitt der westdeutschen Länder und Gemeinden. Ab 2002 stieg die bremische Investitionsquote dann für einige Jahre deutlich über den Durchschnitt an, bis sie nach Auslaufen der Sanierungshilfen ab 2005 wieder auf das durchschnittliche Niveau der westdeutschen Länder und Gemeinden zurückgeführt wurde. c) In Folge der Konsolidierung im Bereich der konsumtiven Primärausgaben sowie der Rückführung der Investitionsausgaben ist die bremische Ausgabenquote (= Anteil der Gesamtausgaben von Land und Stadtgemeinden am bremischen Bruttoinlandprodukt), die im Jahr 1993 noch bei überdurchschnittlichen 20,5% lag (Gesamtheit der Länder und Kommunen: 19,1%), deutlich gesunken. Im Jahr 2008 lag sie nur noch bei 15,1% und damit trotz der auf Landesebene politisch kaum gestaltbaren hohen Ausgaben für Zinsen, Versorgungs- und Sozialleistungen unter dem Durchschnitt (Gesamtheit der Länder und Kommunen: 15,3%), bevor sie im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise wieder anstieg, ohne allerdings mit 17,1% im Jahr 2010 (Gesamtheit der Länder und Kommunen: 16,7%) auch nur annähernd das Ausgangsniveau von 1993 zu erreichen. d) Seit Beginn des Konsolidierungskurses haben sich die Ausgaben je Einwohner im Stadtstaat Bremen immer weiter dem Länderdurchschnitt angenähert. Die konsumtiven Primärausgaben, die im Jahr 1992 noch bei mehr als 145% des Länderdurchschnitts lagen (Hamburg: 140%, Berlin: 160%), sind bis zum Jahr 2010 – wie in den beiden anderen Stadtstaaten auch – auf unter 130% des Länderdurchschnitts abgesunken. Rechnet man aus den konsumtiven Primärausgaben die in Bremen überdurchschnittlich hohen und politisch kaum zu gestaltenden Versorgungsausgaben und die Ausgaben für Sozialleistungen heraus, zeigt sich, dass mittlerweile für die anderen Aufgabenbereiche in der Regel sogar weniger konsumtive Mittel je Einwohner als in den beiden anderen Stadtstaaten und im Länderdurchschnitt zur Verfügung stehen. Bestätigt wird diese summarische Analyse durch die Ergebnisse des im Jahr 2008 im Rahmen der Föderalismusreform II erstellten Berichts der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Haushaltsanalysen“. Die Daten belegen, dass sich Bremen grundsätzlich keine überdurchschnittlichen Leistungsstandards und auch keine personellen Überbesetzungen (mehr) leistet. Eine Ausnahme bildeten zum Berichtszeitpunkt lediglich noch die Investitionsausgaben, die zwischenzeitlich planmäßig reduziert und auf das durchschnittliche Niveau der westdeutschen Länder und Kommunen zurückgeführt worden sind. 2. Konterkariert wurden die Erfolge bei der Aufgabenkonsolidierung durch die schwache Entwicklung der Einnahmen und durch die hohe Belastung durch Kreditzinsen und andere auf Landesebene politisch kaum zu gestaltende Ausgaben (z. B. für Sozialleistungen). a) Zwischen 1992 und 2005 fand eine dramatische Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Steuereinnahmen statt. Während das bremische Bruttoinlandsprodukt in dem genannten Zeitraum nominal von 19 Mrd. Euro auf fast 25 Mrd. Euro anstieg – auch auf Grund der die Wirtschaftskraft steigernden Investitionen in dieser Periode – lagen die Steuereinnahmen von Land und Stadtgemeinden im Jahr 2005 nominal rund 80 Mio. Euro niedriger als im Jahr 1992. Die Steuerquote (= Anteil der Steuereinnahmen am BIP) sank zwischen 1992 und 2005 dementsprechend von 9,9% auf 7,3% – und damit trotz niedrigeren Ausgangsniveaus deutlich stärker als im Durchschnitt der Länder und Kommunen (Steuerquote 1992: 10,7%, 2005: 9,8%). Ursächlich dafür waren im Zeitraum bis 2000 vor allem deutliche Einwohnerverluste im Verhältnis zur bundesdurchschnittlichen Bevölkerungsentwicklung und im Zeitraum ab 2000 vor allem Steuersenkungen auf Bundesebene. Erst ab 2005 schloss sich in Bremen die Schere zwischen Wirtschaftswachstum und Steuereinnahmen langsam wieder – mit einem vorläufigen Spitzenwert bei den Einnahmen im Vorkrisenjahr 2008. Allerdings lag die Steuerquote im Jahr 2008 mit 8,6% immer noch 1,3 Prozentpunkte unterhalb des Wertes von 1992. Sie lag überdies auch deutlich unterhalb des Durchschnitts der Länder und Kommunen (Steuerquote 2008: 11,2%). Im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise brachen die Steuereinnahmen dann wieder ein, erholten sich allerdings relativ schnell und lagen 2011 etwa auf dem Niveau von 2008. b) Mit der schwachen Entwicklung der Steuereinnahmen korrespondierte eine schwache Entwicklung der Gesamteinnahmen des Stadtstaates Bremen. Die Einnahmenquote (= Anteil der Gesamteinnahmen von Land und Stadtgemeinden am BIP) sank zwischen 1992 und 2005 von 17,1% auf 12,5% und damit wesentlich stärker als im Durchschnitt der Länder und Kommunen (1992: 17,4%, 2005: 14,9%). Auch der anschließende leichte Anstieg der Einnahmenquote auf 13,4% im Jahr 2008 konnte den Abstand zum Durchschnitt der Länder und Kommunen (2008: 15,6%) nur unwesentlich verringern. Die schwache Entwicklung der Gesamteinnahmen des Stadtstaates Bremen führte dazu, dass im Jahr 2010 die Primäreinnahmen (= bereinigte Gesamteinnahmen abzgl. Veräußerung von Vermögen) je Einwohner nur noch bei 111% des Länderdurchschnitts lagen – und damit deutlich unterhalb der Werte für Hamburg (125%) und Berlin (129%). c) Der Stadtstaat Bremen hat im Vergleich der Länder und Kommunen die mit Abstand höchsten Zinsbelastungen im Verhältnis sowohl zur Einwohnerzahl als auch zur Wirtschaftskraft zu tragen. Bereinigt man die Primäreinnahmen je Einwohner um die Zinszahlungen je Einwohner, erreichte der Stadtstaat Bremen im Jahr 2010 nur noch einen Wert von 94% des Länderdurchschnitts (Hamburg: 122%, Berlin: 123%). Der Wert sinkt noch weiter unter den Durchschnitt, wenn neben den Zinszahlungen auch die weiteren auf Landesebene politisch kaum gestaltbaren Belastungen (Versorgungsaufwendungen, Sozialleistungen) berücksichtigt werden. 3. Ungeachtet aller Konsolidierungsanstrengungen ist die Gesamtverschuldung des Stadtstaates Bremen in Folge der schwachen Entwicklung der Einnahmen und der hohen Belastung durch Kreditzinsen und andere auf Landesebene politisch kaum zu gestaltende Ausgaben stark gestiegen. Zwischen 1993 und 1999 konnte die Verschuldung zwar zunächst von 8,9 auf 8,2 Mrd. Euro und die Schuldenquote von 46,5% auf 38,6% abgesenkt werden, weil zur Finanzierung der Investitionen in diesem Zeitraum 8,5 Mrd. Euro an Sanierungshilfen des Bundes zur Verfügung standen. Nach dem Auslaufen der Sanierungshilfen stieg die Verschuldung aber wieder an, weil es nicht mehr möglich war, die jährlichen Haushalte von Land und Stadtgemeinden auch nur annähernd auszugleichen. Im Jahr 2010 lag die Verschuldung bei 17,8 Mrd. Euro, dies entsprach einer Schuldenquote von 64,4 % (Berlin: 60,4%, Hamburg: 28,1 %). 4. Auch nach zwei Jahrzehnten erfolgreicher Ausgabenkonsolidierung befindet sich Bremen damit, gemessen an den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Kriterien, weiterhin in einer absoluten extremen Haushaltsnotlage (so auch die Feststellung des Staatsgerichtshofs in seinem Urteil vom 24. August 2011). Eine solche Haushaltsnotlage ist, in den Worten des Bundesverfassungsgerichts, dadurch charakterisiert, „dass ein bundesstaatlicher Notstand im Sinne einer nicht ohne fremde Hilfe abzuwehrenden Existenzbedrohung des Landes als verfassungsgerecht handlungsfähigen Trägers staatlicher Aufgaben eingetreten ist“. II. Fortführung der Haushaltskonsolidierung unter den Bedingungen der Schuldenbremse 1. Durch die Schuldenbremse des Grundgesetzes, das Konsolidierungshilfengesetz und die auf dieser Grundlage mit dem Bund abgeschlossene Verwaltungsvereinbarung sind einerseits die Anforderungen an die weitere Haushaltskonsolidierung verschärft, andererseits überhaupt erst die Voraussetzungen für den Erhalt von Konsolidierungshilfen geschaffen worden. Land und Stadtgemeinden müssen danach die Neuverschuldung bis zum Jahr 2020 in jährlichen Abbauschritten auf Null reduzieren. In langwierigen Verhandlungen konnte durchgesetzt werden, dass Bremen vom Bund neun Jahre lang 300 Mio. Euro p. a. an Konsolidierungshilfen erhält, also insgesamt 2,7 Mrd. Euro, um die Vorgaben der Schuldenbremse einhalten zu können. Dies war und ist ein großer politischer Erfolg. Nach der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs erfüllt der von Bremen mit dem Bund vereinbarte Konsolidierungsplan die restriktiven Bedingungen, die an die Inanspruchnahme des ungeschriebenen Ausnahmetatbestandes zur Überschreitung der Kreditobergrenze des Art. 131a der Landesverfassung geknüpft sind. Dies zeigt, dass Bremen und Bremerhaven bei der Fortführung der Haushaltskonsolidierung auf einem guten Weg sind. 2. Laut Finanzplan 2011 - 2016 müssen auch unter optimistischen Annahmen (durchschnittlich 3% Wachstum der nominalen steuerabhängigen Einnahmen p. a.; durchschnittlich 1,7% Inflation p. a.; Zinssatz durchschnittlich 3,7% p. a.) die realen Primärausgaben des Stadtstaates bis zum Jahr 2020 um rund 15% sinken, wenn 2020 das Haushaltsdefizit auf Null gebracht sein soll. Um das Ziel einer Neuverschuldung von Null im Jahr 2020 zu erreichen, sind die realen Primärausgaben in Bremen bereits in den kommenden Jahren wesentlich stärker als im Durchschnitt der Länder und Kommunen abzusenken. Nach den Daten der mittelfristigen Finanzplanung bis zum Jahr 2016 muss die reale Ausgabenreduzierung bei einer angenommenen durchschnittlichen Preissteigerung von 1,7% p. a. in Bremen durchschnittlich 1,5% p. a., in den anderen Ländern und Kommunen nur durchschnittlich 0,3% p. a. betragen. Betrachtet man den Zeitraum bis 2020, werden die Unterschiede noch deutlicher: Aus Modellrechnungen der Zentralen Datenstelle der Landesfinanzminister (ZDL) ist ableitbar, „dass die Primärausgaben der Länder bei einer unterstellten Inflationsrate von 1,5% p. a. zur Erreichung ausgeglichener Haushalte 2020 real auf 96% des Ausgangswerts 2010 sinken müssen. Für Bremen ergibt sich – verstärkt durch überproportionale Zinsausgaben (ohne Gegenrechnung der Konsolidierungshilfen) – ein notwendiger realer Abbau der Leistungsausgaben um rund 25%.“ (Sanierungsprogramm 2012-2016 der FHB, S. 4). 3. Auch bei planmäßiger schrittweiser Reduzierung der Neuverschuldung auf Null bis zum Jahr 2020 wird die Gesamtverschuldung des Stadtstaates weiter ansteigen (Prognosewert 2020: 20,3 Mrd. Euro). In Folge der Neuverschuldung werden die Zinsausgaben auch bei Fortschreibung des derzeitigen niedrigen Zinsniveaus weiter zunehmen. Die „positiven“ Zinseffekte der 2,7 Mrd. Euro an Konsolidierungshilfen werden lediglich rund 40% der „negativen“ Zinseffekte der Neuverschuldung bis zum Jahr 2020 kompensieren können. Dies zeigt wie dringlich eine Lösung nicht nur der Neuverschuldungs- sondern auch der Altschuldenproblematik ist. 4. Nach zwei Jahrzehnten Haushaltssanierung gibt es, wie gezeigt, kaum noch Bereiche, in denen sich Land und Stadtgemeinden ein überdurchschnittliches Ausgabenniveau leisten. Ausnahmen bilden die auf Landesebene politisch kaum gestaltbaren Versorgungs- und Sozialleistungen. Im Regelfall stehen für die Aufgabenerfüllung schon jetzt weniger Mittel je Einwohner als in den anderen Ländern und Kommunen zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund wird die im Finanzplan 2011 – 2016 zur Einhaltung der Vorgaben der Schuldenbremse für erforderlich gehaltene Absenkung der realen Primärausgaben um 15% bis zum Jahr 2020 nicht ohne wesentliche Qualitätsverschlechterungen und Angebotseinschränkungen bei den Leistungen von Land und Stadtgemeinden umzusetzen sein, sofern es nicht gelingt, die finanzpolitischen Rahmenbedingungen zu ändern: „Zusammenfassend ist festzustellen, dass die zur Einhaltung der Schuldengrenzen notwendigen Eigenanstrengungen zur Haushaltssanierung (...) eine große Herausforderung darstellen, die schon im abgebildeten Mittelfristzeitraum die Gefahr birgt, dass die Mindeststandards staatlicher Leistungen unterschritten sowie die Wettbewerbsfähigkeit und Qualität des Standorts beschädigt werden.“ (Finanzplan 2011 - 2016, S. 21). 5. Politisches Ziel muss es aber sein, die öffentliche Leistungen dauerhaft auf einem Niveau zu erhalten, das den Menschen in Bremen und Bremerhaven Lebensverhältnisse ermöglicht, die denen im übrigen Bundesgebiet gleichwertig sind und das die Qualität und Wettbewerbsfähigkeit unserer Städte in den Bereichen Wohnen, Bildung, Arbeit, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Freizeit sichert. III. Dauerhafter Erhalt der Leistungsfähigkeit von Land und Stadtgemeinden erfordert Änderung der finanzpolitischen Rahmenbedingungen und strukturelle Verbesserung der Einnahmesituation 1. Eine tragfähige Alternative zum Kurs der Haushaltskonsolidierung gibt es für die Bremer SPD nicht. Ein Abweichen von den Vorgaben der Schuldenbremse würde Bremen politisch isolieren, die finanzielle Situation in Folge des Verlusts der Konsolidierungshilfen weiter verschlechtern und ggf. zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Haushalts durch den Staatsgerichtshof führen, weil der ungeschriebene Ausnahmetatbestand zu Art. 131a LV bei Nichteinhaltung des Konsolidierungsplans unter Umständen nicht mehr in Anspruch genommen werden dürfte. 2. Die Einhaltung der Schuldenbremse erfordert bis 2020 weitere erhebliche Anstrengungen auf der Ausgabenseite. Die knapper werdenden Mittel müssen deshalb noch stärker vorrangig dort eingesetzt werden, wo der Bedarf am größten ist. Dies gilt insbesondere auch in den Bereichen Bildung und Soziales (Stichwort „Stadtteilgerechtigkeit“). Investitionen werden wir weiterhin auf arbeitsplatzschaffende und werterhaltende Maßnahmen konzentrieren. Eine Absenkung des Investitionsniveaus wird sich dabei nicht vermeiden lassen. Obwohl die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in den vergangenen Jahren bereits erhebliche Konsolidierungsbeiträge erbracht haben, wird auch weiter Personal abgebaut werden müssen. Der Abbau muss aber sozial gerecht gestaltet werden. Notwendige Einsparungen sollen daher schwerpunktmäßig dort ansetzen, wo der Service gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern nicht beeinträchtigt wird. Zugleich müssen die inneren Abläufe der Verwaltung auf ihre Effizienz hin geprüft, noch bestehende Doppelstrukturen abgebaut und die Schnittstellen zwischen den Ressorts weiter verbessert werden. Betriebsbedingte Kündigungen und Privatisierungen schließen wir aus. 3. Die Einhaltung der Schuldenbremse lässt sich aber nicht allein durch Maßnahmen auf der Ausgabenseite erreichen, denn der Preis dafür wäre ein Kaputtsparen Bremens und Bremerhavens. Um unter den Bedingungen der Haushaltskonsolidierung die Funktionsfähigkeit von Land und Stadtgemeinden als lebenswerte Gemeinwesen für alle Menschen dauerhaft zu erhalten, ist neben dem zu leistenden Eigenbeitrag bei den Ausgaben auch eine Änderung der finanzpolitischen Rahmenbedingungen und eine strukturelle Verbesserung der Einnahmesituation erforderlich. Dabei gibt es aus Sicht der Bremer SPD keine Patentlösung zur strukturellen Verbesserung der finanziellen Lage Bremens und Bremerhavens, sondern es bedarf einer Kombination verschiedener Bausteine. 4. Unverzichtbare Grundlage jeder erfolgreichen finanzpolitischen Strategie ist die Realisierung eines im Bundesvergleich mindestens durchschnittlichen Wirtschaftswachstums und einer stabilen Einwohnerentwicklung im Land Bremen. Wirtschaftliches Wachstum erhöht nicht nur die Steuereinnahmen, sondern senkt über die Schaffung von Arbeitsplätzen tendenziell auch die öffentlichen Ausgaben für Sozialleistungen. Voraussetzung ist allerdings eine konsequente Orientierung der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik am Leitbild der „Guten Arbeit“. Eine stabile Einwohnerentwicklung ist unter den Bedingungen des föderalen Finanzausgleichs eine wesentliche Voraussetzung für eine stabile Einnahmeentwicklung in Bremen und Bremerhaven. Jeder Einwohner bedeutet für den Stadtstaat Bremen nach Finanzausgleich Einnahmen in Höhe von rund 3.500,- Euro p. a. Deshalb müssen die im Koalitionsvertrag festgelegten Maßnahmen zur Förderung der Wirtschaft und zur Stabilisierung der Einwohnerzahl konsequent umgesetzt werden (z. B. durch Schaffung ausreichenden und bezahlbaren Wohnraums). 5. Bremen und Bremerhaven müssen auch auf der Einnahmenseite einen Eigenbeitrag leisten und alle sozial vertretbaren landes- und kommunalpolitischen Möglichkeiten der Einnahmeverbesserung ausschöpfen. Dies betrifft sowohl Steuern als auch Gebühren und Beiträge. Deshalb ist es zum Beispiel richtig, die Gewerbesteuer in Bremen um 20 Punkte anzuheben. Auch die Erhöhung der Grunderwerbssteuer und die Einführung der Tourismusabgabe sind wichtige Entscheidungen, mit denen die Einnahmesituation Bremens verbessert wird. 6. Um die strukturelle Unterfinanzierung der Länder und Kommunen in Deutschland zu beseitigen, ist eine grundlegende Änderung der Steuerpolitik auf Bundesebene erforderlich. Hohe Einkommen und Vermögen müssen künftig wieder wesentlich stärker zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben herangezogen werden. Zielführend sind die Beschlüsse des letzten SPD Bundesparteitags, die unter anderem eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer, eine Reform der Erbschaftssteuer, eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer auf 49% und eine Streichung unnötiger und ökologisch bzw. sozial schädlicher Subventionen vorsehen. Allein die Erhöhung des Spitzensteuersatzes würde zu jährlichen Mehreinnahmen des Stadtstaates Bremen in Höhe von 40-50 Mio. Euro führen. 7. Dringend erforderlich ist auch eine Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Dabei geht es zum einen um die Neuregelung des Finanzausgleichs i. e. S., der in der gegenwärtigen Form im Jahr 2019 ausläuft. Daneben müssen aber auch alle anderen vertikalen und horizontalen Verteilungs- und Umverteilungsmechanismen zwischen Bund und Ländern in den Blick genommen werden. Aus Bremer Sicht sind bei der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen die folgenden Prinzipien zu beachten:
  • Verteidigung des solidarischen Föderalismus gegen die wettbewerbsföderalistische Ideologie des „Jeder gegen jeden“. Die Sicherung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet muss weiterhin zentrales politisches Ziel sein.
  • Schaffung von Anreizen für die Länder zur Stärkung ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.
  • Sicherstellung der gemeinschaftlichen Finanzierung von Aufgaben von nationalem Interesse (z. B. Häfen).
  • Verankerung des Konnexitätsprinzips im Verhältnis zum Bund, insbesondere im Bereich der Sozialleistungsgesetze („Wer bestellt, bezahlt!“).
  • Berücksichtigung der Besonderheiten der Stadtstaaten, insbesondere durch eine Anpassung der Einwohnerwertung.
Der Bund muss außerdem eine stärkere Rolle im Bildungsbereich spielen. Der letzte SPD-Bundesparteitag hat hierzu folgenden Beschluss gefasst:„Der Bund muss jährlich aufsteigend deutlich mehr in den Aufbau des weltweit besten Bildungs- und Betreuungsangebots in Deutschland investieren und 2016 zusätzlich 10 Mrd. € an Bundesmitteln bereitstellen. Dafür müssen Bund, Länder und Gemeinden zusammen arbeiten. Deshalb wollen wir die Verfassung ändern und das bisherige Kooperationsverbot aufheben. Damit wollen wir den Ländern und Gemeinden helfen, die Gebühren für Kindertagesstätten ebenso abzuschaffen wie die Studiengebühren, den flächendeckenden Ausbau der Ganztagsschulen mit ausreichend Personal zuschaffen und die Schulen und Universitäten zu sanieren und auszubauen.“ 8. Eine tief greifende Verbesserung der finanziellen Situation des Stadtstaates Bremen setzt schließlich auch eine Lösung der Altschuldenproblematik voraus. In Anlehnung an den jüngst vom Hamburger Bürgermeister unterbreiteten Vorschlag sollte dabei von folgendem Grundgedanken ausgegangen werden: Die Schulden der Länder und ggf. auch der Kommunen werden in einem gemeinsamen Fonds auf Bundesebene zusammengefasst. Dieser Fonds bedient die Zinsen für die zusammengefassten Schulden, wobei er aller Voraussicht nach günstigere Konditionen am Kreditmarkt durchsetzen kann als es den Ländern und Kommunen derzeit möglich ist. Die Refinanzierung des Fonds kann auf unterschiedliche Weise erfolgen, zum Beispiel durch eine dauerhafte Fortführung des Solidaritätszuschlags über das Jahr 2019 hinaus. Im Gegenzug zur Entlastung bei den Zinsen verpflichten sich die Länder (und Kommunen) zur schrittweisen Tilgung ihrer Altschulden. Die zusätzlichen Aufwendungen für die Tilgung müssen dabei spürbar unterhalb der ersparten Aufwendungen für die Zinsen liegen, damit sich bereits zur Beginn des Schuldenabbaus ein Entlastungseffekt ergibt. IV. Diskussion über Änderung der finanzpolitischen Rahmenbedingungen und strukturelle Verbesserung der Einnahmesituation jetzt offensiv führen Die politische Diskussion über die Änderung der finanzpolitischen Rahmenbedingungen und die strukturelle Verbesserung der Einnahmesituation des Stadtstaates Bremen muss schon heute offensiv geführt werden, auch wenn viele Fragen erst 2019 zur Entscheidung anstehen. Diese Diskussion muss alle Aspekte betreffen (verfassungsrechtliche, ökonomische, politikwissenschaftliche) und intensiv wissenschaftlich begleitet werden. Nur so kann Bremen sich in der bundesweiten Debatte Gehör verschaffen. In diesen Kontext ist auch eine Verankerung der Schuldenbremse in der Landesverfassung zu stellen. Es muss sowohl in der Debatte darüber und als auch im Verfassungstext selbst deutlich werden, dass zur Geschäftsgrundlage der Schuldenbremse eine Finanzausstattung gehört, die Land und Stadtgemeinden eine verfassungsgerechte Aufgabenwahrnehmung ermöglicht (Stichwort „Einnahmensicherungsklausel“). Stand: 11. Juni 2012