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Diskussionspapier von Jens Böhrnsen

11.06.2012
"Thesen zur Neuregelung der Finanzbeziehungen in der Bundesrepublik Deutschland"
Die Diskussion um eine Reform der Finanzausgleichssysteme und insbesondere des Länderfinanzausgleichs sind – auch wenn die aktuellen Rahmenbedingungen einmütig von allen Bundesländern bis 2019 vereinbart wurden – vor dem Hintergrund aktueller Klageandrohungen und nicht zuletzt mit dem Vorschlag des baden-württembergischen Ministerpräsidenten mit besonderer Heftigkeit entbrannt. Grundsätzlich geht es um die Frage, wie viel Gleichheit bzw. Ungleichheit auf gleich­wertige Chancen auf gute Bildung und soziale Teilhabe zwischen den Bundesländern politisch gewollt wird. Die Vertreter eines stärkeren Wettbewerbsföderalismus wollen sich von der bislang vorherrschenden Interpretation des grundgesetzlichen Anspruchs auf Herstellung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse verabschieden. Dem gegenüber steht die Meinung, die finanzwirtschaftlichen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass eine Aufgabenerfüllung aller Bundesländer möglich ist, die die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse gewährleistet. Die Forderung, den geltenden Finanzausgleich abzuschaffen und stattdessen einen vertikalen Ausgleich des Bundes an die finanzschwachen Länder zu zahlen, ist zudem eine Verabschiedung aus dem bündischen Solidarprinzip und stärkt die Rolle des Bundes im föderalen System. Wir stehen für einen solidarischen Föderalismus und erinnern daran, dass sich gerade die Südländer bislang immer für eine stärkere Rolle der Länder gegenüber dem Bund ausgesprochen haben und bei der großen Finanzreform 1969 den Finanzausgleich gegen den zentralistischen Entwurf des Bundes durchgesetzt haben. 1. Den horizontalen Finanzausgleich weiter entwickeln Das derzeitige Ausgleichssystem hat keineswegs eine absolut nivellierende Tendenz, es bleiben erhebliche Unterschiede in der nach allen Ausgleichsstufen verfügbaren Finanzausstattung bestehen. Die These, dass im gegenwärtigen System eine „Übernivellierung“ erfolge, bei der das ursprünglich finanzstarke Land am Ende über weniger Mittel verfüge als das vorher finanzschwache Land, entspricht nicht der Realität. Die Geberländer stehen auch dem horizontalen Finanzausgleich mit ihrer verfügbaren Finanzausstattung mit deutlichem Abstand an der Spitze der Bundesländer. Der tatsächliche Abstand in den finanzpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten ist sogar noch weitaus größer, weil die Nehmerländer zudem überproportionale Lasten, z.B. bei Zinsen, zu tragen haben. Dies trifft insbesondere auf Bremen zu. Insofern findet die Kritik, das derzeitige Ausgleichssystem sei irrational und „absolut bescheuert“ (Ministerpräsident Kretschmann) keine Grundlage in den tatsächlichen Zahlen. Daher sollte ein horizontales Ausgleichssystem mit seinen Kernelementen grundsätzlich auch über das Jahr 2019 hinaus einen Beitrag zu einem angemessenen Ausgleich zwischen den Bundesländern gewährleisten. 2. Alle horizontalen und vertikalen Umverteilungsmechanismen in den Blick nehmen. Für eine sachgerechte Bewertung der Angemessenheit des Ausgleichs im geltenden Ausgleichssystem ist immer eine Betrachtung der Effekte aller Verteilungsstufen erforderlich. Deshalb müssen alle vertikalen und horizontalen Mechanismen auf den Tisch, wenn über die Finanzbeziehungen zwischen den Ländern und dem Bund ab 2019 diskutiert wird. Dazu gehören neben dem Länderfinanzausgleich insbesondere die Zerlegung der Lohnsteuer, der Körperschaftsteuer und der Abgeltungsteuer, die Umsatzsteuerverteilung sowie nachgelagert die Bundesergänzungszuweisungen. Zudem gilt es die kommunale Finanzkraft als Kriterium im Länderfinanzausgleich deutlicher zu gewichten. 3. Bremen ist wirtschaftlich stark – Leistungsanreize für Anstrengungen stärken Bremen erwirtschaftet nach Hamburg  das zweithöchste BIP je Einwohner aller Bundesländer. Mit seiner unter den Ländern weit überdurchschnittlichen Wirtschaftskraft erzielt Bremen auch ein überdurchschnittliches originäres Steueraufkommen. Schon in der Stufe der Steuerverteilung unter den Ländern, d.h. vor dem eigentlichen Finanzausgleich, wird diese Steuerkraft durch Lohnsteuerzerlegung und Umsatzsteuerverteilung aber erheblich reduziert. Bremen sinkt deutlich unter den Länderdurchschnitt ab, um dann anschließend im Finanzausgleich wieder „aufgefüllt“ zu werden. Bremen hat auch die Erfahrung gemacht, dass die Bemühungen um eine Stärkung des Wirtschaftswachstums durchaus erfolgreich waren, dass sich dies aber nicht hinreichend in den eigenen Steuereinnahmen widerspiegelte. Bremen wird sich aktiv an der Diskussion beteiligen, wie solche Anstrengungen auch in der Steuerverteilung stärker berücksichtigt werden können. Dabei darf allerdings der berechtigte Anspruch der struktur- und  finanzschwachen Länder auf einen angemessenen Ausgleich nicht in Frage gestellt werden. 4.Erfüllung von Aufgaben im nationalen Interesse gemeinschaftlich finanzieren Ein selbständiges Bremen ist ein Gewinn für die bundesstaatliche Gemeinschaft. Bremerhaven ist der zweitgrößte Automobilhafen in Europa und der zweitgrößte Containerumschlagplatz in Deutschland. Mit seinen Häfen erfüllt das kleinste Bundesland eine unverzichtbare Dienstleistung für die gesamte Republik. Bremen mit seinen begrenzten Mitteln hat in die Leistungsfähigkeit seiner Häfen, über die ein großer Teil des deutschen Exports erfolgt, in den letzten Jahren nachhaltig investiert und damit einen entscheidenden Beitrag zur Sicherung des Standortes Deutschland geleistet. Bremen erbringt so erhebliche Leistungen für die Gesamtheit des Bundes: Die jährlichen Aufwendungen für Erhalt und Erneuerung der Hafenanlagen betragen deutlich über 100 Mio. Euro. Seit 2005 und noch bis zum Jahr 2019 erhält Bremen vom Bund einen jährlich gleich bleibenden Betrag in Höhe von etwas über 10 Mio. Euro für die Abgeltung der Hafenbelastungen, danach soll dieser Ausgleich ganz entfallen. Vor der letzten Neuregelung des Finanzausgleichs waren es noch 46 Mio. Euro jährlich. Dieses Missverhältnis überfordert auf Dauer die Finanzkraft Bremens und bedarf zwingend der stärkeren Mitwirkung der Ländergemeinschaft und des Bundes. Der wirtschaftliche und finanzielle Nutzen aus den Häfen kommt überwiegend dem Bundesgebiet außerhalb Bremens zu Gute. Die gegenwärtige Regelung sieht demgegenüber im historischen Vergleich der letzten 50 Jahre die geringste Beteiligung des Gesamtstaates an den Kosten der Seehäfen vor. Auch im Bereich der Hochschulbildung erbringt Bremen deutlich überproportionale Leistungen für die Gesamtheit von Bund und Ländern. So gibt es in Bremen und Bremerhaven ca. 50 Studierende pro 1000 Einwohner, das sind rund doppelt so viele, wie im Durchschnitt der Flächenländer und gut 20 % mehr, als in den anderen Stadtstaaten Berlin und Hamburg. Bremen „exportiert“ jedes Jahr Hunderte Hochschulabsolventinnen und -absolventen in andere Bundesländer. Ohne diesen Beitrag wäre die Fachkräftesituation insbesondere im Süden Deutschlands weitaus problematischer. Deshalb streben wir eine verbesserte Regelung für diese Bereiche an. 5. Leistungsgesetze anpassen: Wer bestellt, bezahlt! Unterschiede in der finanziellen Leistungsfähigkeit der Länder ergeben sich wesentlich daraus, dass bundesgesetzliche Regelungen in den einzelnen Ländern zu erheblich unterschiedlichen Auswirkungen führen. Das finanziell bedeutsamste Beispiel sind die Soziallasten. Hier wird es darum gehen Lösungen zu entwickeln, die sicherstellen, dass strukturell ohnehin benachteiligte Länder durch die geltenden Lastenverteilungsregeln nicht zusätzlich benachteiligt werden. Gerade im Zusammenhang mit den Sozialleistungen müssen wir auf eine geänderte Lastenverteilung drängen. Auch die durch den Bund bzw. Bundesgesetzgebung gesteuerten Geldleistungsgesetze wie BAFÖG oder Wohngeld belasten Bremen im Bundesvergleich überproportional. Die Übernahme der Kosten der Unterkunft durch den Bund ist ein erster sinnvoller Schritt, dem weitere folgen müssen. Grundsätzlich erstrebenswert wäre es, die Geldleistungsgesetze und die Sozialgesetzgebung so anzupassen, dass dem Konnexitätsprinzip Rechnung getragen wird und der Bund möglichst vollständig für die Kosten seiner Gesetzgebung aufkommt. Der Bund muss zudem eine stärkere Rolle im Bildungsbereich spielen. Deshalb sollte das bisherige Kooperationsverbot aufgehoben werden. 6. Eigenarten der Stadtstaaten berücksichtigen, die Einwohnerwertung anpassen Unbestritten erfordert die Erfüllung der großstadttypischen Funktionen von Stadtstaaten ein Leistungsangebot, das dem in vergleichbaren Großstädten entspricht. Das im Finanzausgleichssystem vorgesehene Instrument, um Stadtstaaten eine großstadtadäquate Finanzausstattung zur Finanzierung der abstrakten Mehrbedarfe in Stadtstaaten zu garantieren, ist die Einwohnerwertung. Damit soll keine Besserstellung, sondern lediglich eine Gleichstellung von Stadtstaaten mit vergleichbaren Großstädten in Flächenländern erreicht werden. Im Falle Bremens als einzigem „doppelten“ Stadtstaat werden die oberzentralen Leistungen für Gebiete außerhalb der Landesgrenzen in besonders ausgeprägter Form erbracht. Nach unserer Auffassung bildet die gegenwärtige Höhe der Einwohnerwertung von 135 % die strukturelle Besonderheit der Stadtstaaten nicht mehr hinreichend ab  und müsste neu festgesetzt werden. 7. Reform der Finanzbeziehungen durch eine Altschuldenregelung ergänzen Nahezu alle Gebietskörperschaften der Bundesrepublik sind in teilweise ganz erheblichem Maße verschuldet. Insgesamt ist die deutsche Staatsverschuldung mittlerweile auf rund zwei Billionen Euro angewachsen. Die sehr unterschiedlichen Schuldenstände der einzelnen Gebietskörperschaften und die damit verbundenen Zinslasten führen zu sehr unterschiedlichen Ausgangslagen. Dabei sind hohe Schuldenstände in der Regel ein Ausdruck einer Notlage der einzelnen Gebietskörperschaften aufgrund besonderer wirtschaftsstruktureller Problemlagen bzw. besonderer Belastungen bei den Ausgaben, gerade auch bei den nicht steuerbaren gesetzlichen Sozialausgaben.  Deshalb ist es notwendig, die Ausgangslagen anzugleichen. Dafür bedarf es einer solidarischen Lösung für die Altschulden ebenso wie für die Zinszahlungen. Im Rahmen der Diskussion der Föderalismuskommission, in der Bremen seine jährlichen Sanierungshilfen von 300 Millionen € jährlich bis einschließlich 2019 durchsetzen konnte, ist von allen Beteiligten einmütig betont worden, für die Zeit danach insbesondere im Hinblick auf die Bewältigung der Altschulden zu neuen Vereinbarungen zu kommen. Dieses Versprechen muss eingelöst werden. 8. Aufgabenadäquate Finanzausstattung aller Gebietskörperschaften sichern Die Hoffnung, durch Steuersenkungen und staatliche Ausgabenkürzung mehr Wachstum und Beschäftigung zu generieren, hat sich nicht erfüllt. Die Wahrheit ist: Chancen zur Finanzierung der notwendigen Zukunftsinvestitionen in Bildung, Infrastruktur, ökologische Modernisierung und zur Finanzierung des Sozialstaats wurden vergeben. Es geht in den nächsten Jahren um die Stärkung des Gemeinwesens, der öffentlichen Infrastrukturen, von Bildung und sozialstaatlichen Aufgaben. Sozialer Zusammenhalt, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, ökologische Vernunft und demokratische Teilhabe – das sind die Eckpunkte eines sinnvollen Zukunftsplans für Deutschland. Erreicht werden können diese Ziele nur mit einer Steuerpolitik, die die Stärkung der finanziellen Handlungsfähigkeit von Bund, Ländern und Kommunen mit einer gerechteren Verteilung von Einkommen und Vermögen verbindet. Dies ist nur möglich, wenn es zu einer stärkeren steuerlichen Heranziehung hoher Einkommen und Vermögen und Erbschaften kommt und niedrige und mittlere Einkommen nicht zusätzlich belastet werden. Zusätzlichen Einnahmeverlusten, etwa durch weitere Steuergeschenke der schwarz-gelben Bundesregierung, müssen wir entschieden entgegen treten. 9. Die Diskussion jetzt annehmen und vorantreiben – mit Eigenanstrengungen nicht nachlassen Die politische Diskussion über die mittel- und langfristige Finanzierung in der Bundesrepublik muss gerade auch von Bremen schon heute offensiv geführt werden, auch wenn die bisherige Regelung des horizontalen Finanzausgleichs bis 2019 gilt und viele andere Punkte nicht zeitnah zur Entscheidung anstehen. Diese Diskussion muss alle Aspekte betreffen (verfassungsrechtlich-normative, ökonomische, finanzwissenschaftliche) und breit wissenschaftlich begleitet werden. Wir dürfen uns aber keine Illusionen machen: Die Verhandlungen mit dem Bund und den anderen Ländern werden schwierig sein, zumal alle öffentlichen Haushalte derzeit mit großen Problemen zu kämpfen haben.  Mit erheblichen zusätzlichen Entlastungen ist in den kommenden Jahren nicht zu rechnen. Wenn wir es erreichen, ab dem Jahre 2019 eine Reform der Finanzbeziehungen so hinzukriegen, dass Bremen strukturell entlastet würde, wären wir außerordentlich erfolgreich. Und das wird auch nur dann gelingen, wenn wir gleichzeitig deutlich machen, dass wir alle Eigenanstrengungen unternehmen, um unsere Haushalte zu sanieren.