Beschluss des Landesparteitages vom 09.11.2024
Einleitung
Der Arbeitsmarkt in Bremen hat sich in den letzten Jahren positiv entwickelt. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze ist nahezu kontinuierlich gestiegen und erreichte zuletzt eine Rekordzahl von 345.000. Der Anteil weiblicher Beschäftigter erhöhte sich weiterhin leicht und stieg auf 46 Prozent. Auch die Integration ausländischer Arbeitskräfte verlief sehr erfolgreich, sie stellen seit 2015 zwei Drittel der neuen Beschäftigten. Besonders erfreulich: auch die Zahl der Auszubildenden ohne deutsche Staatsangehörigkeit hat sich in den letzten 10 Jahren nahezu verdreifacht.
Trotz dieser Erfolge gibt es Herausforderungen:
- Bremen hat mit über 10 Prozent noch immer die höchste Arbeitslosenquote in Deutschland und die Erwerbsbeteiligung von Frauen ist im Ländervergleich sehr niedrig. Eine Erwerbsbeteiligung, die allen Menschen eine eigenständige Absicherung ihres Lebensunterhalts und damit die Voraussetzungen für eine umfassende Teilhabe gewährleistet, bleibt ein wichtiges Ziel sozialdemokratischer Politik in Bremen. Daher besteht für die Verbesserung der Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt nicht nur aus arbeitsmarktpolitischer Sicht dringender Handlungsbedarf, sondern auch unter Gerechtigkeitsaspekten. Gleichzeitig besteht für die Verbesserung der Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt nicht nur aus arbeitsmarktpolitischer Sicht dringender Handlungsbedarf. Auch die die Integration behinderter Menschen in den Arbeitsmarkt ist weiterhin unbefriedigend.
- Gleichzeitig spüren auch in Bremen immer mehr Branchen, dass es zusehends schwieriger wird, qualifizierte Fachkräfte – oder überhaupt Arbeitskräfte - zu finden.
- Durch die fortschreitende Transformation der Wirtschaft (Klima, Digitalisierung) steigen gleichzeitig die Anforderungen an anderen bzw. neuen Qualifizierungen fachlicher Art.
Ein besseres „Matching“ allein reicht nicht aus, um diese Probleme zu lösen. Allerdings ist im Bereich der Frauenerwerbstätigkeit zu beobachten, dass in Bremen der Anteil der Frauen, die unterhalb ihrer Qualifikationsstufe arbeiten und / oder in Teilzeit, ausgesprochen hoch ist. Es gibt in diesem Bereich also durchaus Mismatch. Frauen verfügen in allen Bereichen (Schule, Ausbildung, Hochschule) über im Durchschnitt bessere Abschlüsse und bringen damit bessere Voraussetzungen mit, die für die Transformation erforderlichen Kompetenzen schnell und erfolgreich zu erwerben. Dafür sind aber in vielen Branchen und Berufen besondere Anstrengungen erforderlich, um Frauen zu gewinnen, etwa Maßnahmen mit Kinderbetreuung oder Weiterbildungen in Teilzeit.
Im hochschulischen Bereich sind Frauen in den meisten technischen und ingenieurwissenschaftlichen und vielen naturwissenschaftlichen Studiengängen massiv unterrepräsentiert. Vielfach hat dies nicht nur mit einem Mangel an weiblichen Vorbildern und dem sinkenden Frauenanteil auf den Qualifikationsstufen (Hochschulabschluss, Promotion, Habilitation) zu tun, sondern auch mit der Ausgestaltung der Studiengänge und der Fachkultur. Die Hochschulen müssen in diesem Bereich eine umfassende Studienreform in Gang setzen, um die MINT-Studiengänge attraktiver für Frauen zu machen.
Strukturelle Probleme sind offensichtlich. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen liegt nach Rückschlägen während Corona wieder über 40 Prozent. Knapp 70 Prozent der Arbeitslosen haben keine abgeschlossene Berufsausbildung, während der Anteil der Helfer-Tätigkeiten, für die diese Arbeitssuchenden in Frage kommen, in Bremen lediglich gut 15 Prozent erreicht. Die Zahl der dortigen freien Stellen reicht nicht annähernd aus, um das Angebot aufzunehmen.
Ausländische Beschäftigte sind ein immer relevanter werdender Faktor für den Bremer Arbeitsmarkt. 67% des Beschäftigungszuwachses seit 2015 resultiert aus der Beschäftigungszunahme von Ausländern. Doch während die Arbeitslosenquote bei den Arbeitnehmer:innen mit deutscher Staatsbürgerschaft bei knapp 7 Prozent liegt, ist sie bei den ausländischen Arbeitnehmer:innen mit 27 Prozent fast vier Mal so hoch. Das Kernproblem ist auch hier: acht von zehn ausländischen Arbeitslosen besitzen keine abgeschlossene Berufsausbildung.
Der Anteil der Frauen unter den Arbeitslosen ist mit 45 Prozent nahezu gleich groß wie bei den Beschäftigten. Die arbeitslosen Frauen sind ebenfalls, noch ausgeprägter als die Männer, überdurchschnittlich häufig ausländischer Herkunft und ohne oder mit nur geringen Berufsqualifikatonen. Hinzu kommt: Gut 20 Prozent der arbeitslosen Frauen sind alleinerziehende Mütter, die zusätzliche Hürden bei der Integration in den Arbeitsmarkt überwinden müssen. Besonders alleinerziehende Mütter mit mehreren Kindern sind auf dem Arbeitsmarkt stark benachteiligt. Im Rahmen der Arbeit der Senatskommission Geschlechtergerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt müssen für diese Zielgruppe weitere Maßnahmen entwickelt werden.
Wirkliche Lösungen sind nur auf zwei Wegen zu erreichen: Über ein größeres Angebot von Arbeitsplätzen mit einfachen Tätigkeitsprofilen, was angesichts der fortschreitenden Digitalisierung und steigender Qualifikationsanforderungen aber nur eine zeitweise Lösung sein dürfte. Und über eine bessere Qualifizierung. Hier liegt der wichtigste Schlüssel für eine aktive Arbeitsmarktpolitik. Eine zentrale Aufgabe muss dementsprechend die Stärkung und Steigerung der Effektivität und Effizienz der bremischen Qualifizierungsangebote sein. Wichtig bleibt zudem, dass möglichst alle Ausbildungswilligen auch einen Ausbildungslatz erhalten und die Abbrecherquote bei den Ausbildungsverträgen gesenkt wird. Bei allen Konzepten müssen zudem die besonderen Belange von Menschen mit Behinderung im Sinne der Inklusion mit bedacht werden.
Daher werden wir auch weiterhin den landes- und kommunalpolitischen Einfluss nutzen, um in der Arbeitsförderung des SGB III und des SGB II den Schwerpunkt auf die Förderung beruflicher Weiterbildung bis zum Berufsabschluss zu erhalten und auszubauen. Zudem wird das Land Bremen auch in Zukunft ergänzend zur Regelförderung des Bundes eigene Aktivitäten zur Stärkung der Ausbildungs- und Qualifizierungsförderung durch Mittel des Europäischen Sozialfonds und durch Landesmittel erhalten (zum Beispiel Aufstiegsfortbildungsprämie, Qualifizierungsbonus, Nachqualifizierung zur Externenprüfung) und die im Koalitionsvertrag vorgesehenen Maßnahmen (Aufstieg zur Fachkraft, Transitionsgesellschaft) auf den Weg bringen und den Ausbildungsunterstützungsfonds im Interesse der bremischen Wirtschaft und der Auszubildenden umsetzen und den Klimacampus als Leuchtturm für die Aus- und Weiterbildung ins transformationsrelevanten Berufsfeldern vorantreiben.
Angesichts der hohen Zahl arbeitsloser Ausländer:innen ist zudem die Vermittlung der deutschen Sprache eine zentrale Aufgabe. Dafür müssen die Anzahl der Sprachkurse auf den höchsten Niveaus C1 und C2 und das Angebot an berufsbegleitendem Deutschunterricht / Coaching deutlich ausgebaut werden, da fehlende Deutschkenntnisse nicht nur das wichtigste Vermittlungshindernis, sondern auch die entscheidende Barriere für die Übernahme höherwertiger Tätigkeiten darstellen. Ausreichende Sprachkenntnisse sind unabdingbar für die Qualifizierung und die erfolgreiche Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen und Abschlüssen. Diese Herausforderung gilt nicht nur für erwachsene Zuwanderer, die Arbeit suchen. Sie ist auch die herausragende Basisaufgabe in den KiTas und Schulen, um der qualifizierungsbedingten Arbeitslosigkeit den „Nachwuchs“ zu nehmen. Gerade den Berufsschulen, insbesondere den Schulen mit vollschulischen Ausbildungsgängen, kommt hier eine besondere Bedeutung zu, auch und gerade Deutsch als Zweit- und Fremdsprache auf hohem Niveau zu vermitteln.
Last but not least muss es ausdrückliche Zielsetzung sein, Qualifizierungsmaßnahmen und die Arbeitsaufnahme von Eltern und Alleinerziehenden nicht an fehlenden KiTa-Plätzen oder zu kurzen Betreuungszeiten scheitern zu lassen. Der Bremer Senat hat diese Herausforderungen erkannt und entsprechende Maßnahmen auf den Weg gebracht. Es gilt, konsequent und zielgerichtet darauf aufzubauen.
Deutlich andere Aufgaben stellen sich bei der Sicherung eines ausreichenden Angebots an Fachkräften, Expert:innen und Spezialist:innen. Fehlende Fachkräfte sind schon jetzt ein ernstes Problem in den Pflege- und Erziehungsberufen. Ein wachsender Bedarf entfaltet sich auch im Handwerk. Zudem zeichnet sich quer durch nahezu alle Branchen ab, dass es zunehmend schwerfällt, gut qualifizierte und insbesondere auch höher qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen. Besonders ausgeprägt sind die Engpässe bei technischen und ingenieurfachlichen Qualifikationen. An dieser Stelle macht sich das starre Fortbestehen geschlechtsspezifischer Klischees im Bereich der Berufswahl besonders negativ bemerkbar. Auch 2024 wählen junge Frauen weit überwiegend kaufmännische und soziale Ausbildungsberufe, während sich junge Männer auf besser bezahlte und perspektivenreichere Ausbildungsberufe konzentrieren. Eine Veränderung dieses Berufswahlverhaltens erfordert konsequente Bemühungen in der schulischen Berufsorientierung und gezielte Projekte wie beOK (das Projekt Berufswahl ohne Klischees) ebenso wie Quotierung von technischen Ausbildungsplätzen im öffentlichen Sektor.
Auch bei der Sicherung dieses Fachkräfteangebots fällt dem Aus- und Weiterbildungssystem eine wichtige Aufgabe zu. Bremen ist mit dem Qualifizierungsbonus und der Aufstiegsfortbildungsprämie bereits innovative Schritte gegangen. Es sind aber zusätzliche Maßnahmen und Anstrengungen nötig.
Für den Nachwuchs im Handwerk müssen die Instrumente des Ausbildungsfonds genutzt werden. Gleichzeitig wird es zunehmend wichtiger, die Unternehmen bei der Anwerbung von Auszubildenden von außerhalb Bremens zu unterstützen. Entsprechende Maßnahmen reichen von der offensiven Bereitstellung von Azubi-Wohnplätzen bis hin zu einem gezielten Standortmarketing für die „Talentschmieden“ Bremen und Bremerhaven. Herausragend wichtig ist zudem das Projekt des „Zukunftscampus“, und zwar sowohl für die Erstausbildung als auch die Vermittlung von Spezialqualifikationen – und nicht zuletzt als Leuchtturmprojekt für die zukunftsgerichtete Qualifizierung von Fachkräften im Land Bremen. Der Zukunftscampus wird die Qualität der Aus- und Weiterbildung im Bereich der klimafreundlichen Transformation auf ein neues Niveau heben und damit zugleich zum Erreichen der Klimaschutzziele beitragen.
Im Bereich der Pflege und in den Erziehungsberufen gilt es eine Durchlässigkeit von der Hilfskraft bis zur Fachkraft zu organisieren. Um den gestiegenen Anforderungen im Rahmen der Einführung der generalistischen Pflegeausbildung gerecht zu werden und Ausbildungsabbrüche zu vermeiden, sollte das 2023 eingeführte Beratungsangebot „Bleib dran in der Pflege“ verstetigt und bedarfsorientiert ausgebaut werden. Eine Ausweitung des Angebots auch auf die Erziehungsberufe soll möglicht zeitnah umgesetzt/geprüft werden. Zudem ist es bereits unumgänglich, auch gezielt Fachkräfte bzw. Interessierte für Fachkraftausbildung im Ausland zu gewinnen.
Die ersten Erfahrungen zeigen, dass dies eine anspruchsvolle Aufgabe ist. Sie beginnt bei der Auswahl geeigneter Länder, setzt sich über die Anwerbung und Auswahl der Interessierten vor Ort fort und erstreckt sich über Ausbildung und Beruf bis in die flankierenden Maßnahmen zur erfolgreichen Ankunft und Integration in Bremen. Denn es geht nicht nur um Arbeits- und Fachkräfte, sondern es geht um die Gewinnung von Menschen, die ein neues berufliches und heimatliches Umfeld suchen.
Ähnliches gilt für die Gewinnung von talentierten Studierenden aus dem Ausland. Die für den Fachkräftebedarf in der Wirtschaft besonders wichtigen MINT-Studiengänge weisen bundesweit rückläufige Studienanfängerzahlen aus, teilweise sind Studiengänge sogar stark unterausgelastet. Gerade für diese Studiengänge gibt es erfreulicherweise aber ein wachsendes Studieninteresse aus dem Ausland, insbesondere aus dem indischen Raum. Bremen sollte diese Chance nutzen und offensiv für den Studienstandort werben. Besonders wichtig auch für ausländische Studierende ist ein attraktives und niedrigschwelliges Angebot an Wohnraum und eine gute Begleitung im Prozess des Ankommens. Zudem sind vor allem zwei Instrumente ausbauen: Mehr Anreize und gleichzeitig ein größeres Angebot für das intensive Lernen der deutschen Sprache sowie genügend Praktika in Unternehmen. Denn beide Maßnahmen sind besonders wichtig, damit die Studierenden „Wurzeln schlagen“ und nach Abschluss auch in Bremen und Bremerhaven bleiben.
Diese einleitende Übersicht zeigt, dass die Arbeitsmarktpolitik in Bremen vor einer doppelten Herausforderung steht. Sie muss zum einen Qualifizierungsherausforderungen überwinden, um mehr Menschen einen erfolgreichen Weg in den Arbeitsmarkt zu bahnen und ihnen dort Entwicklungschancen zu eröffnen. Zum anderen muss sie mehr Talente von außerhalb gewinnen, um den künftigen Bedarf an Fachkräften zu decken. Um Bremen den Standortvorteil ausreichend vorhandener und gut qualifizierter Fachkräfte – auch vor dem Hintergrund der Transformation der Wirtschaft - zu sichern, müssen deshalb fünf zentrale Handlungsfelder bearbeitet werden: Ausbildung, Qualifizierung und Weiterbildung, Zuwanderung und Hochschulen. Im Folgenden skizzieren wir die wichtigsten Aufgaben, die auf diesen Feldern in Angriff genommen oder mit verstärkten Anstrengungen bearbeitet werden müssen.
Ausbildung
Um den wachsenden Herausforderungen auf dem Ausbildungsmarkt in Bremen gerecht zu werden, müssen vier zentrale Aufgaben gelöst werden: Erstens, es gilt, Jugendliche mit schulischen Ausbildungsdefiziten gezielt zu unterstützen, um ihnen den Zugang zu einem Ausbildungsplatz zu ermöglichen. Zweitens, die hohe Zahl an Ausbildungsabbrüchen muss gesenkt werden. Drittens, Beschäftigte ohne beruflichen Ausbildungsabschluss sollen verstärkt für eine nachholende Qualifizierung gewonnen werden. Und viertens: die Anstrengungen, gut ausgebildete Schulabgänger:innen aus der Großregion als Auszubildende für Bremer Unternehmen zu gewinnen, sind nachhaltig zu verstärken:
- Im Rahmen eines umfassenden arbeitsmarktpolitischen Programms wollen wir Jugendliche mit schulischen Defiziten durch gezielte Fördermaßnahmen unterstützen, die ihnen den Übergang in eine Ausbildung erleichtern. Eine zentrale Maßnahme hierbei ist die systematische Erfassung von Jugendlichen, die die Schule ohne Abschluss beenden, um diese frühzeitig zu identifizieren und gezielt zu fördern. Dies umfasst die Einführung eines Monitoringsystems, das es – wie in Hamburg - ermöglicht, den Verbleib dieser Jugendlichen nachzuvollziehen und individuelle Unterstützungsangebote z.B. durch die Jugendberufsagentur zu unterbreiten. Ergänzt wird dies durch die Reform des Übergangssystems, das derzeit komplex und unübersichtlich ist. Ziel ist es, dieses System stärker auf die Vermittlung in eine schulische oder duale Ausbildung auszurichten, indem Bildungsgänge zur Ausbildungsvorbereitung auf in Berufsschulen angeboten werden. Diese erweiterten Angebote der Berufsschulen bieten die Möglichkeit, den Übergang in die Ausbildung nahtlos zu gestalten, indem das Umfeld und die Ansprechpersonen konstant bleiben.
- Auch für die Ausbildungsabbrüche bedarf es einer systematischen Erfassung und Auswertung, um gezielt Beratungsangebote unterbreiten zu können. Wichtig ist zudem, dass ein solches Monitoring mehr Informationen und ein besseres Wissen über die Gründe für vorzeitige Beendigungen von Ausbildungen liefert. Nur so wird es möglich sein, die Risiken für Abbrüche zu identifizieren und ihnen mit präventiven Maßnahmen zu begegnen. Es ist daher wichtig, eine Verpflichtung zur Meldung von Ausbildungsabbrüchen bei einer öffentlichen Stelle einzuführen und diese mit ausreichend Arbeitskapazitäten auszustatten. Auch hier kann Hamburg als Vorbild dienen. Wichtig ist vor allem, dass bereits bestehende und erfolgreiche Beratungs- und Betreuungsangebote wie insbesondere „Ausbildung -Bleib dran“ zu stärken sowie in der Erprobung befindliche Ansätze wie die Ausbildungsbegleiter zu evaluieren und Angebote der pädagogischen Begleitung und psychosozialen Betreuung zu etablieren. Untersuchungen zeigen aber auch, dass die Bekanntheit etablierter Angebote und die Lotsenfunktion für sie noch verbessert werden muss.
- Für Beschäftigte ohne Berufsabschluss werden ergänzend zu den bestehenden Förderungen für Umschulungen und die Nachqualifizierung zur Externenprüfung eine verstärkte Nutzung von Teilqualifikationen angestrebt. Durch modulare Ausbildungseinheiten, die schrittweise zu einem vollständigen Berufsabschluss führen, sollen diese Personen qualifiziert werden. Dies erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Bildungseinrichtungen sowie die Bereitstellung attraktiver finanzieller und organisatorischer Anreize. Zudem können die Teilqualifikationen wie die Nachqualifikation zur Externenprüfung „on the Job“ erreicht werden. Die Beschäftigten können neben der Qualifikation weiterarbeiten und ihren Lebensunterhalt verdienen. Um die Potentiale zum Nachholen von Berufsabschlüssen durch diese Instrumente zu nutzen, bedarf es dabei auch Weiterentwicklungen des regulatorischen Rahmens.
- Die Teilzeitberufsausbildung ist ein Werkzeug, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken und gleichzeitig bisher weitgehend übergangene Personengruppen zu berücksichtigen, welche individuelle Lösungen benötigen, um Ausbildung und Leben in Einklang zu bringen. Dieses Modell bietet nicht nur Bewerbenden neue Chancen, sondern auch Betrieben, die neue Bewerberfelder erschließen und sich modernen Arbeitszeitmodellen wie der Vier-Tage-Woche und einer besseren Work-Life-Balance öffnen möchten. Zum 01.01.2020 wurde das BBiG novelliert und nun ist die Teilzeitausbildung für alle zugänglich. Langwierige Anträge sind nicht mehr notwendig, jede*r kann unabhängig von den persönlichen Gründen eine Teilzeitausbildung anstreben. Voraussetzung ist lediglich, dass sich Bewerber*in und Betrieb einig werden. Es gibt keine gesetzliche Grundlage, die Unternehmen verpflichtet, in Teilzeit auszubilden. Der Landesparteitag fordert die Mitglieder der SPD im Senat und der Bürgerschaft auf, sich für eine Servicestelle Teilzeitberufsausbildung einzusetzen. Die Kammern sollten bei der Konzeption und Finanzierung eingebunden werden. Die Servicestelle soll die Teilzeitberufsausbildung bekannter machen, erste Anlaufstelle für alle Interessierten und Betriebe sein und Beratung anbieten, damit mehr Jugendliche und Betriebe die Möglichkeit der Teilzeitberufsausbildung nutzen.
- Darüber hinaus wird es angesichts der demografischen Entwicklung zunehmend wichtiger, Bremen als attraktiven Standort für gut ausgebildete Schulabgänger:innen auch aus der Großregion zu positionieren. Dies erfordert gezielte Werbekampagnen, die Bremen und Bremerhaven als „Städte der Ausbildung“ vermitteln. Dazu sollte eine angebotsorientierte Strategie beim Ausbau moderner Azubi-Wohnheime verfolgt werden. Diese sollen jungen Menschen nicht nur Wohnraum, sondern auch ein attraktives Umfeld bieten, in dem sie sich beruflich und persönlich entwickeln können. Ergänzt wird dies durch finanzielle Anreize wie Umzugszuschüsse und Wohnkostenzuschüsse, vergünstigte ÖPNV-Karten, ähnlich einem Semesterticket, um die Entscheidung für Bremen als Ausbildungsort zu erleichtern. Der Gründung eines Auszubildendenwerks kommt hierbei eine entscheidende Rolle zu. In diesem können ähnlich wie beim Studierendenwerk Unterstützungsangebote wie Wohnraumversorgung oder psychosoziale Betreuung gebündelt werden.
So leisten wir zudem ein Beitrag zu unserem Ziel gleichwertige Chancen und Möglichkeiten der Lebensgestaltung junger Menschen in Ausbildung und Studium zu gewährleisten. Dies wird aber nur einen Effekt haben, wenn wir Ausbildungsbedingungen schaffen, die ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Daher sehen wir eine Erhöhung der Mindestausbildungsvergütung als wichtigen Schritt zur Verbesserung der Ausbildungsbedingungen an.
Kita- und Ganztagesausbau helfen doppelt
Der Anteil der Teilzeitbeschäftigung ist bei Frauen (50%, vgl. Männer: 11%) und vor allem bei alleinerziehenden Frauen besonders groß. Dabei werden reduzierte Arbeitszeiten oft gewählt, weil es an entsprechenden Betreuungsoptionen fehlt. Ein wichtiger Schritt, um wieder mehr Frauen und ihre Expertise in den Arbeitsmarkt zu bringen, ist daher ein ausreichendes Angebot an Kita-Plätzen. Auch die Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Ganztagsplatz in der Grundschule eröffnet mehr Zeit und Planungssicherheit für die Berufstätigkeit der Eltern.
Beide Ausbaumaßnahmen tragen gleichzeitig dazu bei, die Chancengerechtigkeit und die Bildungsqualität der Kinder zu verbessern – was wiederum eine wichtige Voraussetzung für die Fachkräfteentwicklung in der Zukunft ist.
Auch aus der arbeitsmarktpolitischen Perspektive bleibt es daher eine vordringliche Aufgabe, sowohl eine ausreichende Zahl an ausgebildeten Erzieher:innen und Lehrer:innen, als auch geeignete Quereinsteiger:innen mit dem Ziel der Entwicklung zur Fachkraft für Kita und Grundschule zu gewinnen.
Sprachbildung stärken – Ankommen erleichtern
Sprache stellt einen der zentralen Schlüssel zur Integration auf dem Arbeitsmarkt dar. Ohne ausreichende Deutschkenntnisse ist es praktisch nicht möglich, eine qualifizierte Berufsausbildung erfolgreich abzuschließen. Mangelnde Fähigkeiten in der deutschen Sprache sind daher bereits bei der Bewerbung um einen Ausbildungsplatz eine kaum überwindbare Hürde. Ohne eine abgeschlossene Berufsausbildung wiederum droht eine prekäre Arbeitskarriere.
Diese negative Wirkungskette unterstreicht zum einen die herausragende Bedeutung, die der Vermittlung der Sprache in Kita und Schule auch in arbeitsmarktpolitischer Hinsicht zufällt. Zum anderen begründet sie aber auch die Notwendigkeit, das Erlernen der deutschen Sprache all jener zu fördern, die erst jenseits des Schulalters nach Deutschland kommen. Die dafür konzipierten Sprach- und Integrationskurse werden stark nachgefragt. Es zeigt sich aber, dass diese Kurse abgebrochen werden, wenn die Teilnehmer:innen einen ersten (und oft nur wenig qualifizierten) Job in Unternehmen finden. Das wiederum hemmt allerdings ihre weiteren Entwicklungsmöglichkeiten.
Das Erlernen der deutschen Sprache ist jedoch anstrengend, gerade wenn das Lernen „neben dem Job“ erfolgen soll. Es sollte deshalb versucht werden, das Angebot an Sprachkursen „on the job“ – also während der Arbeitszeit – auszubauen. Dafür gibt es bereits Finanzierungsmöglichkeiten der Bundesagentur für Arbeit (BA) und des BAMF. Entscheidend ist deshalb, dass die Inanspruchnahme dieser Möglichkeiten von den Arbeitgeber:innen unterstützt werden. Die besten Chancen dafür sehen wir bei größeren Unternehmen. Da Tätigkeiten mit geringen Qualifizierungsanforderungen – und damit der bevorzugte Start für Zugewanderte – aber häufig auch in kleineren und mittelständischen Unternehmen arbeiten, sollte auch dort versucht werden, die Unternehmensleitungen einzubeziehen. Für die Politik bedeutet das, dass sie insbesondere mit der Handelskammer, der Handwerkskammer und den Unternehmerverbänden daran arbeiten sollte, ein Bündnis für das „Deutschlernen im Beruf“ zu schaffen, um eine breitere Unterstützung durch Selbstverpflichtungen anzustoßen.
Neben der allgemeinen Förderung des Deutschlernens gibt es auch erste maßgeschneiderte Angebote für das gezielte Lernen der jeweiligen deutschen Fachsprache in der Ausbildung oder im Beruf. Anbieter ist die Landesagentur für Weiterbildung, die diese mit den jeweiligen Unternehmen umsetzt. Die dortigen Erfahrungen sollten ausgewertet und auf eine mögliche Ausweitung geprüft werden.
Berufsqualifizierungen „on the job“
Auch im Bereich der beruflichen Erst- und Weiterbildung sehen wir im Konzept “on the Job” große Potenziale. Fast ein Viertel aller 25- bis 35-Jährigen in Bremen haben keinen qualifizierten Berufsabschluss. Eine duale Ausbildung ist jedoch für diesen Personenkreis oft unattraktiv, weil die Ausbildungsvergütung nicht ihren Einkommenswünschen entspricht. Sie wählen dann lieber einen – im Vergleich zur Ausbildungsvergütung - besser bezahlten Helfer:innen-Job, obwohl sie damit mittel- und längerfristig ihre Berufs- und Einkommenschancen schwächen.
Eine Lösung für dieses Dilemma kann darin bestehen, dass qualifizierte Berufsabschlüsse auch in Verbindung mit einer zunächst nur angelernten Arbeit erworben werden können. Praktisch kann das zum einen durch die Nachqualifizierung für die Externenprüfung gefördert werden. Zum anderen kann die Lösung durch eine im Anforderungsprofil anfänglich reduzierte und in mehrere Teilschritte zerlegte Ausbildung erfolgen, bei der die auszubildenden Arbeitnehmer:innen nach und nach „Creditpoints“ erwerben. Über eine Reihe von Teilqualifizierungen, die schon für sich eine Weiterbildung bedeuten, wird in der Summe dann ein qualifizierter Berufsabschluss erworben.
Solche schrittweisen Berufsausbildungen werden bereits von der Bundesagentur für Arbeit unterstützt und es gibt erste ermutigende Beispiele in Pionierunternehmen in Bremen. Auch hier bedarf es aber noch eines größeren Kreises von ausbildenden Unternehmen, die eine solche „Ausbildung on the Job“ anbieten. Dafür zu werben und über die Fördermöglichkeiten mit dem Ziel des Nachholens eines Berufsabschlusses aufzuklären ist gleichfalls eine Aufgabe, die von der Politik gemeinsam mit Arbeitgeberorganisationen bearbeitet werden sollte.
Um eine nicht gewollte Konkurrenz zur ordentlichen Berufsausbildung zu vermeiden, sollte dieser Lösungsweg allerdings nur Arbeitnehmer:innen über 25 Jahre oder jüngeren Arbeitnehmer:innen angeboten werden, die bereits über eine dreijährige Beschäftigungserfahrung besitzen. Vermieden werden muss zudem ein Missbrauch dieses Instruments in der Weise, dass nur Teilqualifikationen vermittelt werden, die zur Tätigkeitsaufahme berechtigen, ohne dass später eine vollständige Ausbildung angestrebt wird.
Potentiale der Zugewanderten – „Communities“ systematischer nutzen
Neben der beruflichen Erstausbildung fällt der beruflichen Weiterbildung eine wichtige Funktion zu – und zwar sowohl bei der Integration in den Arbeitsmarkt als auch bei Umschulungen oder Zusatz- und Höherqualifizierungsmaßnahmen für Arbeitnehmer:innen.
Bremen besitzt dafür eine gut entwickelte und differenzierte Landschaft an zertifizierten Bildungsträgern, die auf der Basis von Bildungsgutscheinen und der vorausgehenden Beratung der Arbeitsagentur und der Jobcenter arbeiten und auch öffentlich gefördert werden.
Angesichts der vielfältigen Fördermöglichkeiten ist es besonders wichtig, dass deren Zielgruppen auch erreicht werden. Diese Aufgabe stellt sich vor allem mit Blick auf zugewanderte Menschen, bei denen sprachliche Barrieren, fehlendes Wissen über die Bildungslandschaft oder bürokratische Hürden den Zugang zu Angeboten erschweren.
Eine wichtige Informations-, Lotsen- und Unterstützerfunktion können hier die „Communities“ und Organisationen der Zugewanderten übernehmen. Sie sind eine niedrigschwellige Plattform, über die gezielt Informationen und ein erstens Orientierungswissen vermittelt und auch persönliche Hilfen für Neuankommende organisiert werden können. Eine große Chance liegt zudem darin, dass an diesen Orten erfolgreiche Vorbilder ihre beruflichen Karriereerfahrungen präsentieren und damit auch zur Nachahmung ermutigen.
Erste Erfahrungen der Arbeitsagentur haben gezeigt, dass sie ihre Reichweite über Informationen und Vorträge bei Organisationen der Zugewanderten verbessern können. Bislang ist dieser Ansatz aber noch unterentwickelt. Um seine Potentiale zu nutzen, bedarf es zudem nicht nur des informationellen Inputs seitens der Weiterbildungsakteure. Vielmehr müssen die „Communities“ dabei unterstützt werden, sich zur Informations-, Lotsen- und Unterstützerplattform für die erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt zu entwickeln.
Wir werden deshalb ein Pilotprojekt erkunden, wie diese „Community“-Fähigkeit gezielt entwickelt und gestärkt werden kann. Dabei werden wir auch den Rat für Integration mit seinen guten Kenntnissen über die „Communities“ und deren Erreichbarkeit mit einbeziehen.
Fachkräfte über Zuwanderung gewinnen - Anerkennung von
Qualifikationen verbessern
Trotz aller angestrebten Verbesserungen bei Ausbildung, Qualifizierung und Weiterbildung zeichnet sich ein Fachkräftemangel ab, dem nur durch eine fortschrittliche Zuwanderungspolitik begegnet werden kann. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklungen werden solche Anstrengungen künftig bundesweit zunehmen und es wird sich absehbar sogar eine Konkurrenz um gut qualifizierte Fachkräfte und Auszubildende aus dem Ausland entwickeln. Im Bereich der Pflegekräfte ist das schon der Fall.
Bremen und Bremerhaven sind bekanntermaßen weltoffene Städte. Sie haben deshalb gute Chancen, in diesem Wettbewerb gut abzuschneiden. Gleichwohl sollten sie bemüht sein, schon frühzeitig die Voraussetzungen für die Gewinnung ausländischer Fachkräfte zu schaffen. Insbesondere müssen über die Welcome Centers vielfältige bürokratische Hürden abgebaut und eine soziale Begleitung und Unterstützung der Zuwanderer:innen organisiert werden.
Vornean sollten die Bemühungen stehen, die Hindernisse bei der Anerkennung ausländischer Qualifikationen abzubauen. Das ist noch immer eine große Herausforderung. Ziel muss sich es sein, dass das Bremen das Land mit den höchsten Anerkennungsquoten und den kürzesten Anerkennungszeiten wird. Die bereits vorhandenen Kapazitäten und Qualitäten der Anerkennungsberatung im Land Bremen müssen deshalb auch bei einer möglichen Integration in die Arbeitsagentur unbedingt erhalten werden. Dringlich ist zudem die verlässliche und ausreichende finanzielle Absicherung der Förderung von qualifikatorischen Ergänzungsmaßnahmen sowie der Bereitstellung eines bedarfsgerechten Angebots an berufssprachlichen Deutschkursen. Verbessert werden muss zudem auch das Wissen zu Beratungs- und Fördermaßnahmen für die Anerkennung ausländischer Qualifikationen. Noch wichtiger ist allerdings die Reform der beruflichen Bildung mit Blick auf den Kopenhagen-Prozess, der nicht formal erworbene und zertifizierte berufliche Kompetenzen in den Blick nimmt. Viele Zuwander:innen haben zum Teil langjährig in ihren Heimatländern in Berufen gearbeitet, die sie ohne Berufsausbildung ausgeübt haben. Formale Anerkennungsverfahren setzen hier bisher nicht an und müssen z.B. über Portfolio-Modelle weiterentwickelt werden. Für die Anerkennung von akademischen Qualifikationen müssen für die jeweilige Anerkennung notwendige Module an Uni/Hochschule möglichst in Zeit des Regelstudiums bzw. mindestens in großen zeitlichen Nähe aktiv angeboten werden. Dieser Zeitraum muss durch BAföG oder andere Mittel mit eigener Regelung finanziell abgesichert werden. Original Zeugnisse sollten in allen Amtssprachen der EU anerkannt werden. Für den Übergang mindestens auch englische Originale.
Neben der Anerkennung von Qualifikationen entstehen erfahrungsgemäß viele weitere kleinere oder größere Schwierigkeiten, die das Ankommen und die schnelle Arbeitsaufnahme von Fachkräften erschweren. Die Fraktion der SPD hat deshalb bereits mit den Koalitionspartnern das Projekt eines „Welcome Centers“ auf den Weg gebracht, das als zentrale Anlaufstelle und „one-shop“-Lösung für alle Anliegen um die berufliche Integration von Zugewanderten dienen soll. Um eine Zersplitterung von Ressourcen und Überschneidungen mit Aufgaben der Arbeitsagentur und des Jobcenters zu vermeiden, sollte sich das Welcome Center auf den Bereich der Fachkräfte konzentrieren und dabei insbesondere auch die zentrale Informations-, Beratungs- und Lotsenfunktion für die Arbeitgeber:innen und Unternehmen übernehmen.
Wer sich als ausländische Fachkraft für Bremen oder Bremerhaven interessiert und dort eine Arbeit aufnehmen will, hat zudem weitere Bedürfnisse: vor allem das Finden einer Wohnung, aber auch die Unterbringung eventueller Kinder in Kita und Schule, diverse behördliche Anmelde- und Antragsprozeduren und nicht zuletzt auch komplexe Finanz- und Versicherungsfragen, bei denen Lösungen aus dem Heimatland nicht einfach zu übertragen sind und nicht nur seriöse Anbieter ihre Dienste offerieren. Dabei zu helfen, würde das Welcome Center – über allgemeine Basisinformationen hinaus – überfordern. Es gehört aber zu einer Willkommenskultur im weiteren Sinne dazu. Auch bei diesen Feldern sollte deshalb frühzeitig überlegt werden, welche Unterstützungen Fachkräften in Aussicht gestellt werden können, die sich für eine Arbeit in Bremen oder Bremerhaven interessieren.
Es wird allerdings perspektivisch nicht genügen, bei der Gewinnung von ausländischen Fachkräften auf deren Eigeninitiative zu setzen. Notwendig wird eine aktive Anwerbung im Ausland sein. Praktisch wird damit die Frage verbunden sein, in welchen Ländern geworben werden soll, wie die Zielgruppen dort erreicht und die gewünschten
Qualifizierungen überprüft werden können, welche (seriösen und qualifizierten) Vermittlerdienste in Anspruch genommen werden und welche gezielten Vorqualifizierungen möglicherweise in den betreffenden Ländern möglich sind. All das wird primär zwar die Aufgabe der Fachkräfte suchenden Unternehmen sein. Um diese zu unterstützen und das Bundesland Bremen als Zielort zu profilieren, wird es aber nötig sein, eine öffentliche Anwerbestruktur zu schaffen. Sich diesbezüglich allein auf den Bund und seine Aktivitäten zu verlassen, ist angesichts der zu erwartenden Konkurrenz um gute Fachkräfte jedenfalls nicht ratsam.
Wichtig ist schließlich, dass die Gewinnung von ausländischen Fachkräften nicht zu einem einseitigen Vorteil im anwerbenden Land gerät. Statt lediglich fertig ausgebildete Fachkräfte abzuwerben, sollte deshalb geprüft werden, in welchen Berufsfeldern es möglich und sinnvoll ist, junge Menschen im Ausland zu gewinnen und sie dann hier auszubilden. Erste positive Erfahrungen konnten damit bereits bei der Anwerbung und Gewinnung junger Menschen aus Indien für die Pflegeausbildung in der Bildungsakademie der GeNo in Bremen gemacht werden. Dieses Projekt – einschließlich seiner vorgelagerten Auswahl der Bewerber:innen und der nachgelagerten Unterstützung ihrer Integration – sollte weiter ausgebaut werden, wobei die GeNo und ihre Bildungsakademie allerdings flankierende Unterstützung benötigen. Zeitnah auszuwerten sein wird auch das bislang für das Bremer Handwerk einmalige Projekt, junge Menschen aus Indien in Bremen und Bremerhaven in den Berufen Fleischer, Bäcker und Fachverkauf im Lebensmittelhandwerk auszubilden. Es zeigt sich abschließend, dass der aktuelle Rechtsruck in Deutschland und die Erfolge der AfD abschreckend auf ausländische Fachkräfte wirken. Für eine erfolgreiche Fachkräftegewinnung bedarf es auch zwingend einer neuen Willkommenskultur in Gesellschaft und Politik.
Ausländische Talente für die Hochschulen im Land Bremen gewinnen
Hochqualifizierte Fachkräfte sind für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes von zentraler Bedeutung. Besonders in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) werden Talente benötigt, um den wachsenden Anforderungen der digitalen und technologischen Transformation gerecht zu werden. In Bremen sind viele dieser Studiengänge, mit Ausnahme der Informatik, jedoch stark unterausgelastet. Dabei ist die Nachfrage nach MINT-Absolventen hoch, was, neben der schon erwähnten Gewinnung von weiblichen Studierenden, die Bedeutung internationaler Studierender für die Region. Außerdem muss der Studienerfolg verbessert und die Studienanbruchquoten durch geeignete Maßnahmen deutlich verbessert werden.
Besonders aus dem indischen Raum gibt es bereits ein beachtliches Interesse an einem Studium in Bremen. Dieses Potenzial gilt es weiter auszubauen und die Gewinnung ausländischer Talente zu systematisieren.
Die Aufgabe beginnt bei der Prüfung, inwieweit vorhandene Studienangebote und Curricula für eine deutliche Erhöhung von Studierenden aus dem Ausland geeignet sind oder teilweise modifiziert werden sollten. Damit einher geht auch die Frage, wie die Auswahl von Bewerber:innen erfolgen soll und ob die bisherigen Kriterien – insbesondere die Dominanz bloßer Noten – bei Abschlüssen im Ausland zu modifizieren sind.
Mit Blick auf eine gezielte Werbung im Ausland stellt sich weiterhin die Frage, wo und wie für ein Studium in Bremen geworben werden soll. Sind das die Länder, die bislang – aus anderen als dezidiert arbeitsmarktpolitischen Erwägungen – im Vordergrund stehen oder setzt man an dem bereits jetzt feststellbaren großen Interesse im indischen Raum an? Angesichts der Erfahrungen mit nicht selten fragwürdigen Fähigkeitsnachweisen – insbesondere bei der Sprache – ist auch die Frage der Prüfung entsprechender Dokumente zu thematisieren.
Ein zentraler Erfolgsfaktor für die Anwerbung ist auf jeden Fall die schnelle und unkomplizierte Bereitstellung von bezahlbarem studentischem Wohnraum. Internationale Studierende müssen sich willkommen fühlen und eine Unterkunft finden, die ihnen einen schnellen Einstieg in das Studium und das Leben in Bremen ermöglicht und deprimierende Suchläufe am für sie oft besonders schwierigen freien Wohnungsmarkt erspart. Da bezahlbarer Wohnraum auch für Studieninteressierte aus anderen Teilen Deutschlands wichtig ist, muss dieser Aufgabe eine hohe Priorität auf der Agenda eingeräumt werden. Aktuell ist es für alle Studierenden aus dem Nicht-EU-Ausland, die ein Visum für ihren Deutschlandaufenthalt benötigen, verpflichtend, ein deutsches Konto mit 12 x 992 €, also insgesamt 11.904 € zu eröffnen. Das Sperrkonto ist solange notwendig, bis die:der Student:in einen Mini- oder Teilzeitjob findet. Diese Regelung ist eine sehr große Hürde, da es für die meisten Studierenden aus dem Ausland nicht möglich ist, eine so hohe Summe auf ein Deutsches Konto zu überweisen. Wir fordern, den verpflichtenden Geldbetrag auf dem Sperrkonto von 12 × 992 € zu senken. Sechs Monate sind hier als Referenzzeitraum vollkommen ausreichend.
Langfristig ist es wichtig, die ausländischen Studierenden nicht nur für die Dauer ihres Studiums zu gewinnen, sondern sie auch nach ihrem Abschluss im Land zu halten. Ein wichtiger Aspekt ist dabei das gründliche Erlernen der deutschen Sprache. Wie bei der Integration von Geflüchteten muss deshalb geprüft werden, wie die Angebote zum Deutschlernen ausgebaut und zugleich Anreize für die Vertiefung der Sprachkenntnisse im Studium gesetzt werden können. Reine Masterstudiengänge in Englisch erleichtern zwar den Einstieg, entwickeln aber keine „Klebe“-Wirkung.
Ein weiteres wichtiges Integrationsinstrument ist das Angebot von Praktika in Unternehmen. Solche Praktika bieten wertvolle Einblicke in die regionale Arbeitswelt und schaffen wichtige Bindungen zu lokalen Unternehmen. Hier gilt es, in Zusammenarbeit mit der Handelskammer, den Unternehmerverbänden und einzelnen Unternehmen eine größere Bereitschaft für das Angebot von Praktika in den Betrieben zu schaffen und einen effizienten Vermittlungsmechanismus zu etablieren. Zu prüfen ist perspektivisch auch, inwieweit gerade auch duale Studiengänge ein gutes Instrument für die Gewinnung und das Halten ausländischer Talente.
Ziel muss es sein, dass internationale Studierende in Bremen heimisch werden und sich eine berufliche Zukunft in der Region aufbauen, anstatt nach dem Studium in den angelsächsischen Raum weiterzuziehen.