Beschluss des Landesvorstandes vom 17.03.2025
I. Beschädigter Markenkern der SPD
Die SPD hat am 23. Februar 2025 eine historische Niederlage, nicht nur der Höhe nach, erlitten. Wir müssen insbesondere feststellen, dass der Markenkern „Soziale Gerechtigkeit“ unserer Partei in der Wahrnehmung vieler Menschen massiv beschädigt ist. Zum Wahlergebnis haben viele Aspekte beigetragen, die berechtigterweise kritisch von vielen Mitgliedern betrachtet werden – Strahlkraft des Spitzenkandidaten, Dauerstreit der Ampel, auch Teile der Kampagne. Allerdings dürfen Debatten über diese relativ schnell zu drehenden Stellschrauben nicht dazu verleiten, über den strukturellen Kern des Wahldebakels hinwegzugehen – und das ist, dass unsere Partei im Kern ihrer Identität an Überzeugungskraft massiv verloren hat.
Hinter dem Begriff „sozialer Gerechtigkeit“ steht das Versprechen von Sicherheit und Aufstieg für arbeitende Menschen. Ein Blick auf die Werte zeigt: Dieses Versprechen und die SPD werden von den Menschen aktuell nicht als überzeugende Einheit empfunden:
- Massive Verluste im Kompetenzwert Soziale Gerechtigkeit: Nur noch 26 % (-14) trauen der SPD am ehesten zu, für Soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Ein historischer Tiefstwert. Dass die SPD damit immer noch vor allen anderen Parteien liegt, kann in diesem Zusammenhang nicht beruhigen, wenn es sich hier um unseren Markenkern handelt. 52 % der Menschen finden, „die SPD vernachlässige die Interessen der Arbeitnehmer“.
- Unter den Arbeiter:innen haben nur 12 % SPD gewählt (2021: stärkste Kraft mit 26 %).
- Benachteiligte Regionen und benachteiligte Stadtteile: Die Verluste der SPD (Ost: - 12 %, West: - 8 %) sind hier deutlich überproportional, spiegelbildlich verhalten sich die Gewinne der AfD. Auch in den Bremer und Bremerhavener Stadtteilen zeigt sich dasselbe Bild: Betroffen sind hier der Bremerhavener Norden, Blumenthal, sowie weitere besonders benachteiligte Ortsteile wie Tenever, Marßel und große Teile Gröpelingens.
- Junge Menschen 18-24 Jahre: Hier sind Linke (25 %) und AfD (21 %) stärkste Kräfte.
Diese massive Beschädigung des eigenen Markenkerns ist – anders als noch in der letzten SPD-geführten Bundesregierung bis 2005 – auf den meisten Feldern nicht auf die Wahrnehmung zurückzuführen, dass die SPD Politik gegen ihre eigentlichen Werte gemacht hätte. Auf sozialen und ökonomischen Feldern hingegen wurden Versprechen durchaus umgesetzt. So die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro, der massive Ausbau der Erneuerbaren Energien oder die wirtschaftliche Unterstützung von Bürger:innen und Unternehmen in den Krisen.
Allerdings haben diese Maßnahmen in der Alltagswahrnehmung der Menschen nicht zu einer Verbesserung der Situation geführt – infolge des Ukrainekriegs und stark steigender Preise konnten sie lediglich dazu führen, dass sich die Lage nicht wesentlich verschlechtert. Auf dieser Grundlage war nicht die Glaubwürdigkeit des Handelns der SPD in Regierung und Parlament, aber die Glaubwürdigkeit, dass „SPD wirkt“, schon zu Beginn des Wahlkampfes uneinholbar beschädigt.
Eine Ausnahme bildet hier das Feld der Migrationspolitik: Viele Menschen mit Migrationsgeschichte und auch viele junge Menschen haben sich bei dieser Wahl für die Linkspartei entschieden, da sie die Politik von SPD und Grünen als Hinterherlaufen hinter Forderungen von rechts und nicht als überzeugende eigene Problemlösung basierend auf den eigenen Wertvorstellungen empfunden haben.
II. Klare Linie für soziale Gerechtigkeit
Unser politisches Ziel ist und bleibt, das Versprechen von Sicherheit und Aufstieg für jede Generation neu einzulösen. Im Zuge der Bildung einer neuen Bundesregierung ist die SPD-Bundesebene daher gefordert, von Beginn an konsequent für soziale Gerechtigkeit einzustehen. Dies erfordert insbesondere:
- Die Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro und eine Stärkung der Tarifbindung durch Einführung eines Tariftreuegesetzes nach Bremer Vorbild,
- Steuergerechtigkeit für kleine und mittlere Einkommen gegenüber großen Einkommen und Vermögen,
- Entfristung der Mietpreisbremse und Streichen der Ausnahme für möblierte Wohnungen und WGs,
- Stabilisierung des Rentenniveaus, Entlastung von Pflegekosten und solidarische Gesundheitsfinanzierung,
- Mobilisierung öffentlicher Investitionen, insbesondere durch eine Reform der Schuldenbremse,
- Sicherung des Industriestandorts.
Diese Punkte wollen wir in der Koalitionsvereinbarung durchsetzen. Die SPD als Partei hat jedoch weitergehende Ziele, die wir im Blick behalten und mittelfristig umsetzen wollen. Unser Ziel ist der Schutz vor den großen Lebensrisiken Arbeitslosigkeit, Krankheit, Armut und Pflegebedürftigkeit. Wir wollen daher eine Erwerbstätigenversicherung, in die alle einzahlen, eine sichere Rente auf einem Standardrentenniveau von 50%, eine ausreichende Grundrente, eine Pflegevollversicherung ohne Eigenanteile, eine Krankenversicherung für alle ohne Leistungsunterschiede, ein ausreichendes Bürgergeld, eine Kindergrundsicherung ohne Bürokratie, ein Recht auf Arbeit und Qualifizierung, Barrierefreiheit und Teilhabe für alle.
Trotz ihres überproportionalen Ergebnisses bei Wählerinnen und durchaus klarer Haltungen gestern wie heute wird die SPD nicht mehr ausreichend als Partei der Frauenpolitik verstanden. Wir wollen und müssen deshalb wieder lauter für Lohngleichheit, Frauengesundheit, gegen die Kriminalisierung von Abtreibungen und für die Sicherheit von Frauen und Mädchen (Stichwort: Femizide) eintreten.
Eine auf immer härtere repressive Maßnahmen ausgerichtete Migrationspolitik hat nicht etwa die Debatte um Migration beendet oder die radikale Rechte zurückgedrängt. Das Gegenteil ist der Fall. Vor diesem Hintergrund betrachtet der SPD-Landesvorstand die Ergebnisse der Sondierungen zur Migrationspolitik mit großer Sorge. Wir müssen dringend die Deutungshoheit über Migrationspolitik zurückgewinnen, Humanität muss wieder Ausgangspunkt der Debatte werden. Dies gelingt über Maßnahmen, die Migration und Integration tatsächlich erfolgreich machen: Erleichterte Integration von Zugewanderten in den Arbeitsmarkt durch Wiederausbau von Sprachkursen, Abschaffung von Arbeitsverboten und schnellere Anerkennung von Berufsabschlüssen. Die Bekämpfung von Fluchtursachen muss Kernelement einer humanitären Migrationspolitik werden. Integrationspolitische Errungenschaften wie die doppelte Staatsbürgerschaft dürfen keiner Symbolpolitik und politischer Willkür unterliegen.
III. Modernisierungsbooster nutzen – auch für Bremen und Bremerhaven
Zum Thema „Finanzen“ haben Union und SPD schon im Rahmen der Sondierungen eine Lösung „vor der Klammer“ präsentiert, die nach Kompromissfindung mit den Grünen nun verabschiedet werden soll. Damit haben die beteiligten Parteien klargemacht: Steigende Verteidigungsausgaben werden nicht zulasten des sozialen Zusammenhalts, etwa zulasten der Familien, finanziert (Stichwort: Elterngeld) und auch nicht zulasten der Infrastruktur. Im Gegenteil: Dieses historische Finanzpaket ist, so es zustande kommt, ein echter Modernisierungsbooster auch für Bremen und Bremerhaven.
Allein über das geplante Sondervermögen rechnen wir mit etwa 1 Milliarde Euro an Investitionsmitteln direkt für Bremen und Bremerhaven. Dieses Geld benötigen wir dringend, um Deutschland und das Land Bremen zukunftsfit zu machen. Ob Bildung, Brücken oder Breitbandausbau – wir wollen in die Zukunft unserer Kinder, unserer Infrastruktur und unserer Wirtschaft investieren.
Hinzu kommen die Investitionen in Infrastruktur des Bundes, die sich in Bremen und Bremerhaven befindet. Dabei sollten die Häfen besondere Beachtung finden. Mit seinen Seehäfen trägt das Land Bremen in besonderem Maße zur Sicherung des Industriestandorts Deutschland bei. Damit die deutschen Seehäfen ihrer herausragenden Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung auch unter den Bedingungen von Digitalisierung und Klimaneutralität gerecht werden können, müssen Erhalt, Ersatz und Neubau der Hafeninfrastruktur in Seehäfen künftig Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern werden.
Wir in den Ländern und Kommunen wissen, dass schon die bestehenden Aufgaben uns vor immense Herausforderungen stellen. So gelingt es uns zusehends, die Versorgungslücke im KiTa-Bereich zu schließen – gleichzeitig steht der Rechtsanspruch auf Ganztagsgrundschule bereits vor der Tür. Wir wollen klimafreundliche Verkehrsinfrastruktur stärken – gleichzeitig ist schon der Erhalt der bestehenden Weserbrücken ein Kraftakt. Wir wollen neue klimaneutrale Wirtschaftszweige ansiedeln – und alles tun, um unsere bestehenden industriellen Kerne zu sichern. Deshalb spricht sich die SPD Land Bremen dafür aus, auch einen den Ländern künftig offenstehenden allgemeinen Kreditspielraum von 0,35 % des BIP im Land Bremen zu nutzen.
Um in Gänze Klarheit über die künftige Finanzlage zu haben, müssen wir die künftige Steuerpolitik der Bundesregierung und die Mai-Steuerschätzung 2025 abwarten. Die neuen Spielräume dürfen nicht durch fragwürdige Steuergeschenke konterkariert werden. Aufgrund dieser Gesamtlage werden wir die Schwerpunkte der SPD Land Bremen für die zweite Hälfte der Legislaturperiode bestimmen. Der Landesparteitag wird darüber im Juni beraten.
Beschluss als PDF: